Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

394 
liche Eheschließungsvorschrift gilt jetzt 
als mit der Zustellung an die Diözesan- 
bischöfe verkündet, 
Ill. Luther lehrte, daß jedes öffentliche 
Verlöbnis eine Ehe (also stets sponsalia 
de praesenti) sei, auch heimliche Verlöb- 
nisse mit hinzugetretener copula; nur 
wenn unter einer Bedingung eingegan- 
gen, sollte das Verlöbnis als sponsalia de 
futuro (d. h. also als Verlöbnis im römi- 
schen Sinne) gelten. Die kirchliche Ehe- 
schließungsform, die Luther, trotzdem er 
die Ehe für ein überwiegend bürgerliches 
Rechtsgeschäft erklärt hatte, beibehalten 
haben wollte, konnte dabei nur den Cha- 
rakter einer kirchlichen Anerkennung und 
Benediktion besitzen. Diese Lehre, die zu 
vielen dem Volksbewußtsein unverständ- 
lichen Konsequenzen, zu Zwangstrauun- 
gen von Verlöbnissen (die nach dieser 
Lehre ja schon Ehen waren) führte, hat 
schließlich einer anderen Lehre (Just Hen- 
ning Böhmer) Platz machen müssen, daß 
die kirchliche Trauung erst der die Ehe 
konstituierende Akt sei, und dieser Stand- 
punkt wurde auch von der staatlichen Ge- 
setzgebung anerkannt. 
IV. Neben der kirchlichen Trauung 
steht die Zivilehe. Sie kommt in drei For- 
men vor: Obligatorisch, wenn der Staat 
sie als die für das bürgerliche Gebiet 
allein zulässige Eheschließungsart erklärt; 
fakultativ, wenn der Staat den Personen 
die Wahl zwischen der kirchlichen und 
staatlichen Form überläßt; Notzivilehe, 
wenn der Staat zwar die kirchliche Trau- 
ung als die normale Eheschließungsform 
bezeichnet, für den Fall aber, daß die 
Kirche die Trauung für Eh, die der Staat 
seinerseits für zulässig hielt, versagen 
sollte, eine staatliche Form zur Verfügung 
stell. Ob wir die Anfänge der Zivilehe 
schon im Mittelalter zu suchen haben, 
bleibe hier dahingestellt. Voll ausgebil- 
det, aus Gründen der Toleranz, finden wir 
sie 1580 in Holland und Westfriesland, 
und zwar als fakultative für die Refor- 
mierten und obligatorische für Dissiden- 
ten. In England, Schottland, Irland führte 
man sie 1653 ein, „weil die Kirche von 
diesem weltlichen Geschäft zu befreien 
sei‘, im Jahre 1792 in Frankreich, auf der 
Grundlage der Zerlegung der Eh in einen 
bürgerlichen Vertrag und den sakramen- 
talen Vorgang und in neuester Zeit als 
Folge der Trennung von Staat und Kirche. 
Obligatorische Zivilehe haben wir zurzeit 
  
Eheschließung. 
in Deutschland, Belgien, Schweiz, Frank- 
reich, Holland, Italien, Chile, Mexiko, 
Brasilien, Rumänien, Ungarn, Ecuador, 
Japan; fakultative in England (seit 1836; 
nicht für Schottland und Irland), während 
sich Österreich, Dänemark, Norwegen, 
Schweden, Spanien, Portugal und Ruß- 
land mit der Notzivilehe begnügen. 
V. Das heute geltende Recht der katho- 
lischen Kirche beruht auf dem Konzil von 
Trient, den Konstitutionen Pius’ X. Pro- 
vida vom 18. Jan 1906 und Ne temere 
vom 3. Aug 1907, mit verschiedenen au- 
thentischen Interpretationen. Hiernach 
hat der in der katholischen Kirche Ge- 
taufte und der aus der Ketzerei oder dem 
Schisma zu ihr Zurückgekehrte die Kon- 
senserklärung vor dem zuständigen Pfar- 
rer und zwei oder drei Zeugen abzugeben. 
Der Pfarrer wirkt zwar nur als Solenni- 
tätszeuge, muß aber im Gegensatze zum 
Rechte des Tridentinum ausdrücklich er- 
sucht und freiwillig bereit sein, als sol- 
cher zu fungieren. Liegen alle diese Vor- 
aussetzungen vor, so ist die Ehe valida 
und licita. Die Zuständigkeit bestimmt 
sich durch Domizil oder Quasidomizil 
der Brautleute. Mangelnde Zuständigkeit 
macht die Ehe zwar zu einer illicita, ihre 
Gültigkeit wird aber davon nicht berührt. 
Für die gemischten, in Deutschland ge- 
schlossenen Ehen von in Deutschland ge- 
borenen Katholiken bildet der Mangel der 
tridentinischen Eheschließungsform nur 
noch impedimentum impediens. Die Be- 
deutung der kirchlichen Trauung ist im 
protestantischen Rechte seit Einführung 
der obligatorischen Zivilehe eine ganz an- 
dere geworden. War früher die kirchliche 
Trauung die einzige Form der staatlich 
und kirchlich gültigen Eh, so ist diese 
Funktion jetzt auf die bürgerliche Form 
übergegangen. Daneben hat die kirch- 
liche Trauung die Bedeutung der kirch- 
lichen Weihe, der kirchlichen Anerken- 
nung der an sich auch schon für die Kirche 
gültigen Eh erhalten. Gerade wegen der 
Beschränkung der kirchlichen Trauung 
auf das rein religiöse Gebiet hat aber die 
evangelische Kirche die Freiheit erhalten, 
sowohl vom staatlichen Rechte abwei- 
chende Voraussetzungen für die Trauung 
aufzustellen als auch von ihren Angehö- 
rigen die Einhaltung der kirchlichen Trau- 
ung zu beanspruchen. Die katholischq 
Kirche hält der Zivilehe gegenüber an der 
Auffassung fest, daß die Ehe als Sakra-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.