Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

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tritte (Eckchymosen, Sugillationen, Extra- 
vasate, Begriffe bzw Bezeichungen, die 
alle das Gleiche bzw Ähnliches bedeuten) 
auf, die zur Diagnose eines überstan- 
denen epileptischen Anfalles beitragen. 
Dieses Stadium dauert etwa 10—30 Se- 
kunden. Ein zweites folgt mit der Erschei- 
nung der klonischen Krämpfe, d. i. hef- 
tige Zuckungen und Schlagen der Körper- 
glieder treten auf, so daß hierdurch die 
schwersten Verletzungen herbeigeführt 
werden können; bisweilen geradezu eine 
Zerfleischung der Zunge, Verrenkungen 
und Brüche von Knochen; Zungenbisse 
sind gleichfalls häufig Verräter des epi- 
leptischen, ohne Zeugen verlaufenden An- 
falls! Schaum, blutig gefärbt, tritt vor den 
Mund, die Pupillenreaktion ist erloschen, 
ein nicht minder wichtiges diagnostisches 
Symptom. Die Dauer dieses Stadiums 
schwankt von 1/,—5 Minuten. Der 
Kranke erwacht unter Nachlaß der schwe- 
ren Erscheinungen, die Atmung, die vor- 
dem keuchend und unregelmäßig war, 
wird regelmäßig, die Blaufärbung der 
Haut (Cyanose) schwindet; der Patient 
ist wieder völlig normal, hat aber an den 
überstandenen Anfall keine Erinnerung. 
Das Häufigere jedoch ist, daß der Patient 
noch nachher einige Zeit in einem etwas 
benommenen oder auch schlafsüchtigen 
Zustand verharrt, sich geistig nicht orien- 
tiert zeigt und bisweilen sogar deliriert 
(postepileptisches Irresein).. Allein der 
Zustand einer psychischen Alienation 
kann auch ohne vorhergegangene 
Krämpfe sich geltend machen (larvierte 
Ep). Gedächtnisschwäche, Bewußtseins- 
trübung, Angstgefühl, das dann zu Ge- 
walttätigkeiten gegenüber dem vermeint- 
lichen Veranlasser dieses Gefühls führen 
kann, Halluzinationen, perverse Triebe 
sind häufig andere weitere Zeichen einer 
derartigen Substitution des klassischen 
Anfalls. Die psychische Störung kann 
auch bisweilen, wie bereits erwähnt, vor 
einem Anfalle auftreten (psychische Aura) 
oder in die Zeit des Intervalles zwischen 
zwei Anfällen verlegt sein; sie kann vor- 
übergehend, aber auch dauernd sein. Ist 
sie letzteres, so zeigt sie sich schließlich 
als Blöd- bzw Schwachsinn. Während der 
Zeit der Intervalle kann sich ausge- 
sprochene Reizbarkeit, leichte melancho- 
lische Störung, leichte Intelligenz - 
schwäche, Ängstlichkeit, Haß- und Rache- 
gefühl gegen sonst liebgewordene Per- 
  
Epilepsie. 
sonen oder Angehörige, geringer Verfol- 
gungswahn, Beziehungswahn, ein tiefer 
Traumzustand (Bewußtseinstrübung) mit 
scheinbar besonnenem Handeln und 
Sprechen vereint (Krafft-Ebing) usw zei- 
gen. Ein wesentliches diagnostisches 
Zeichen für alle diese Abarten der Ep ist 
stets der Verlust der Erinnerung bzw Er- 
innerungslücken oder auch nur die traum- 
hafte Erinnerung an die Tat, die in einem 
solchen Intervalle ev begangen wurde. 
Ein epileptischer Anfall kann sogar in der 
bloßen Form eines Schwindelanfalls sich 
dokumentieren, wobei u. a. die perio- 
dische Wiederkehr solcher Anfälle be- 
rücksichtigt werden muß und vor allem, 
daß die Körperstellung auf die Erschei- 
nung eines derartigen Schwindelanfalls 
ohne jeden Einfluß ist. Die Erinnerungs- 
lücken (inselförmige Erinnerung [Moeli]) 
haben jedoch nur dann einen diagnosti- 
schen, allein für Ep heranziehbaren Wert, 
wenn in einem vorliegenden Fall das be- 
treffende Individuum sich auch gleichgül- 
tiger Dinge nicht erinnert, die z. B. für 
die inkriminierte Handlung gar nicht ins 
Gewicht fallen. Auch dann ist Ep bzw 
eine Handlung, die als epileptisches Äqui- 
valent gelten könnte, stets auszuschließen, 
wenn der Explorat Taten verübt hat, die 
eine kompliziertere Geistestätigkeit unbe- 
dingt voraussetzen lassen, durch längere 
Zeitabschnitte sich hinziehen und als wohl- 
vorbereitete bzw raffiniert ausgeführte er- 
scheinen. Im allgemeinen kann die Ep 
durchaus nicht als eine „unfrei‘‘ machende 
Krankheit betrachtet werden, wie schon 
die allbekannten historischen Beispiele 
eines Cäsar, Napoleon usw dies beweisen. 
Immerhin aber ist es berechtigt, wenn 
Liman erklärt: „Es sollte in foro jeder 
einer strafbaren Handlung beschuldigte 
Epileptiker der ärztlichen Untersuchung 
unterworfen werden!‘ Zumal die länger 
dauernden, zuweilen Wochen währenden 
Dämmerzustände der Ep, denen, wenn 
auch nur zum geringeren Teil, der second 
etat (zweite Zustand) zuzurechnen ist, 
begründen die Forderung Limans. In der- 
artigen Zuständen zeigt sich bisweilen 
eine hochgradige motorische Unruhe und 
Unstetheit, die sich in einem unwidersteh- 
lichen Drang nach Ortsveränderung, im 
Umnhertreiben (Poriomanie, Wandertrieb) 
äußert und bei Soldaten häufig zu un- 
motivierten Desertionen veranlaßt. Sitt- 
liche Verfehlungen sind gleichfalls nicht
	        
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