Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

Frankreich. 
09. — (KolonialR.) Die erste Phase derko- 
lonialen Gründungen Frankreichs ähnelt 
lebhaft den gleichzeitigen Unternehmun- 
gen Englands. Abgesehen von den Ei- 
gentümerkolonien waren dort Freibrief- 
kolonien oder Gesellschaftskolonien er- 
richtet worden. Nach einigen weniger 
bedeutenden Kolonisierungsversuchen im 
15. und 16. Jahrh kam die koloniale Ent- 
wickelung in Frankreich erst mit Lud- 
wig XIII. in Fluß. An Gesellschaften 
wurden Privilegien erteilt, kraft deren 
ihnen die Ausbeutung des Landes über- 
geben wurde, sie hatten für die Ver- 
waltung, Justiz und die Militärherrschaft 
gleichfalls zu sorgen, mußten sich aber die 
Ernennung eines Gouverneurs durch den 
französischen König gefallen lassen. Die- 
ser Gouverneur hatte einige Befugnisse 
bezüglich der Landungskontrolle und der 
Militärmacht, durfte sich jedoch nicht mit 
den Handelsunternehmungen der Gesell- 
schaften, die die eigentlichen Herrinnen 
des Landes waren, befassen. Der franzö- 
sische Adel und die Geistlichkeit bekamen 
die Erlaubnis, unter Durchbrechung der 
im Heimatlande ihnen gezogenen Schran- 
ken, in den Kolonien handeln zu dürfen. 
Die auf diese Art angelegten und 
verwalteten Kolonien sind heute meist 
nicht mehr im Besitze Frankreichs, es ge- 
hören hierher hauptsächlich Kanada, 
Louisiana und das Mississippigebiet. 
Durch die Anschauungen des Revolu- 
tionszeitalters war der koloniale Gedanke 
in Frankreich in Mißkredit gekommen. 
Erst seit 1830, dem Jahre der algerischen 
Unternehmungen, machte sich eine neue 
Expansionspolitik bemerkbar, seit diesem 
Jahre haben die Franzosen die noch in 
ihren Händen befindlichen Kolonien zu 
halten und zu vergrößern gesucht. Mit 
dem Eintreten Deutschlands in die Reihe 
der Kolonialpolitik treibenden Mächte ent- 
wickelte sich eine neue Phase, die des 
gegenseitigen Wettlaufs im Landbelegen, 
und gerade in dieser Beziehung haben 
die französischen Kolonialoffiziere Her- 
vorragendes geleistet. Besonders in 
Westafrika, das heute ein großes franzö- 
sisches Kolonialreich auf der Karte dar- 
stellt, sind sie in der Hinterlandpolitik — 
ein terminus technicus, der aus der deut- 
schen Sprache als Fremdwort in die an- 
dern übergegangen ist — den konkurrie- 
renden Deutschen und Engländern weit 
überlegen gewesen, so daß sie es erreicht 
  
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haben, die westafrikanischen deutschen 
und englischen Kolonien nach dem Hin- 
terland zu zu begrenzen und dadurch ihre 
sämtlichen Kolonien untereinander und 
mit Algerien und Tunis in Verbindung zu 
bringen. 
Das Verwaltungssystem der französi- 
schen Kolonien ist zum Teil dem des 
Mutterlandes nachgebildet; es ähnelt die- 
sem besonders in der starken Zentralisa- 
tion, wodurch es sich gleichzeitig von dem 
englischen, das in seiner leichten Anpas- 
sungsfähigkeit den individuellen geogra- 
phischen und sozialen Verhältnissen 
Rechnung trägt, im wesentlichen unter- 
scheidet. Die republikanischen Ideen 
haben insoweit in dem Kolonialrecht 
einen Ausdruck gefunden, als die älteren 
Kolonien auch bezüglich der gesetz- 
geberischen Vertretung als Teile des 
Mutterlandes angesehen werden und 
in die Deputiertenkammer Vertreter 
schicken — Algier sendet sechs, die an- 
deren Kolonien zwölf —, wobei auch die 
Hautfarbe keine Rolle spielt. Wenn ein 
Farbiger das Bürgerrecht erlangt hat, 
kann er zum Deputierten gewählt werden. 
Solche Fälle sind auch vorgekommen, 
Auch in den sozialen Verhältnissen in 
den tropischen Kolonien zeigt es sich, daß 
die Idee der Gleichberechtigung Weißer 
und Farbiger dem Franzosen näher liegt 
als den nordischen Völkern; sie ver- 
mischen sich ebenso wie die anderen ro- 
manischen Völker leichter, und die Regie- 
rung erkennt diese Ehen an und verhin- 
dert sie nicht. 
Da die Kolonien zum Teil im Parlament 
vertreten sind, so erschien eine parla- 
mentarische Vertretung in der Kolonie 
selbst nicht angängig. Manche Kolonien 
besitzen allerdings, wie Hinterindien, 
Senegal, Reunion, Guayana, Guadeloupe, 
Neukaledonien und St. Pierre, einen Ge- 
neralrat, aus der Bevölkerung gebildet 
und zu ihrer Vertretung bestimmt, aber 
diesem Generalrat ist nur eine beratende 
Stimme zuerkannt: der Schwerpunkt der 
Einzelverwaltung liegt beim Gouverneur 
oder Kommandanten und dem ihm in 
jeder Kolonie zur Seite stehenden Ad- 
ministrationsrat oder Geheimen Rat, der 
aus den höheren Beamten und Offizieren 
gebildet wird. Der Gouverneur selbst 
steht unmittelbar unter dem Kolonialmini- 
sterium in Paris, das die gesamte Zentral- 
verwaltung führt. 
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