Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

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zesvorlagen, welche bereits in erster Le- 
sung abgelehnt werden, sind erledigt und 
gelangen nicht erst in eine weitere Le- 
sung. Am Schlusse der vollständigen Be- 
ratung, d. h. am Ende der dritten Lesung 
findet gewöhnlich eine sog Gesamtab- 
stimmung über das ganze Gesetz statt. 
Der Reichstag entscheidet mit absoluter 
Stimmenmehrheit (bei Anwesenheit von 
mindestens 199 Mitgliedern), ob es sich 
nun um einfache oder um die Verfassung 
ändernde Oesetze handelt, R 28. 
Vom Reichstage gelangen die Vorlagen 
notwendig wieder an den Bundesrat zu- 
rück; das ist der verfassungsmäßige Weg. 
Der.Bundesrat als Träger der Reichsge- 
walt (nicht der Kaiser) hat das Recht der 
Sanktion der Reichsgesetze. Er beschließt, 
R7 Abs 1 Nr 1, über die von dem Reichs- 
tage gefaßten Beschlüsse, also auch über 
die von demselben angenommenen (oder 
abgelehnten) Vorlagen. Der Bundesrat ist 
nicht verpflichtet, einen von ihm aus- 
gegangenen vom Reichstage angenomme- 
nen Entwurf nun auch wirklich Gesetz 
werden zu lassen, wenngleich dies freilich 
stets der Fall sein wird. Noch weniger 
ist der Bundesrat verpflichtet, etwaige Ab- 
änderungen des Reichstages hinzuneh- 
men, er kann solche vielmehr nach Be- 
lieben genehmigen oder verwerfen. 
Erteilt der Bundesrat einem Reichsge- 
setze die Sanktion, so ist dasselbe an sich 
perfekt, d. h. das Gesetz ist entstanden. 
Nun tritt der Kaiser in Funktion, welchem 
die Ausfertigung und Verkündigung der 
Reichsgesetze zusteht, R 17. Vollziehung 
und Publikation der Reichsgesetze ist 
Recht und Pflicht des Kaisers. Der Kaiser 
hat kein Veto. Liegen die verfassungs- 
mäßigen Voraussetzungen vor, dann muß 
der Kaiser publizieren. Die Verkündigung 
erfolgt von Reichs wegen (vermittelst 
eines Reichsgesetzblattes) und hat ge- 
wöhnlich die Form: „Wir..... ‚ von 
Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König 
von Preußen, verordnen im Namen des 
Deutschen Reiches, nach erfolgter Zustim- 
mung des Bundesrates und des Reichs- 
tages, was folgt:“ Durch die Verkündi- 
gung erhalten die Reichsgesetze ihre ver- 
bindliche Kraft. Sofern nicht in dem pu- 
blizierten Gesetze ein anderer Anfangs- 
termin seiner verbindlichen Kraft be- 
stimmt ist, beginnt die letztere mit dem 
vierzehnten Tage nach dem Ablauf des- 
jenigen Tages, an welchem das betref- 
  
Gesetzgebung im Deutschen Reich — Gesetzgebung in Preußen. 
fende Stück des Reichsgesetzblattes in 
Berlin ausgegeben worden ist, R 2. 
Der Weg der Reichsgesetzgebung zeigt 
in einzelnen bestimmt vorgesehenen Fäl- 
len gewisse — durch die Eigenart des 
Reichsorganismus bedingte — anormale 
Erscheinungen. Der wichtigste Fall ist 
der der Verfassungsänderung; Gesetze, 
welche eine solche enthalten, gelten als ab- 
gelehnt, wenn sie im Bundesrate 14 Stim- 
men gegen sich haben, R 78 Abs 1. Die 
sog Reservatrechte einzelner Staaten kön- 
nen nur mit Zustimmung des jeweils be- 
rechtigten Bundesstaates abgeändert wer- 
den, R 78 Abs 2. Preußen, welches allein 
schon gemäß R 78 Abs 1 jede Verfas- 
sungsänderung verhindern kann, gibt 
ferner (als Bundes,,‚präsidium‘‘) bei ge- 
wissen Meinungsverschiedenheiten im 
Bundesrate den Ausschlag; es handelt 
sich dabei im wesentlichen um Gesetzes- 
vorschläge über Militärwesen, Kriegs- 
- marine, Zölle, Salz-, Tabak-, Branntwein-, 
Bier-, Zucker- und Sirupsteuern sowie um 
Beschlüsse über die zur Ausführung der 
gemeinschaftlichen Gesetzgebung dienen- 
den Vorschriften und Einrichtungen. 
Diese ausschlaggebende Stimme Preu- 
Bens bedeutet (freilich nur auf dem durch 
die entsprechenden Verfassungsbestim- 
mungen fest begrenzten Gebiete) ein Veto 
gegen Neuerungen; denn Preußen gibt 
nur dann den Ausschlag, wenn es sich für 
Aufrechterhaltung der bestehenden Ein- 
richtungen ausspricht, R 5 Abs 2, R 35, 37. 
Die Lehrbücher des deutschen Reichsstaatarechts, insbes. 
Laband, Hänel, v. Rönne, Zorn, auch Meyer, 
Schulze, ferner Marquardsens Handbuch des öffent- 
lichen Rechts; Hirths Annalen, Zeitschrift für die ge- 
samten Stastswissenschaften. Schwarz. 
Gesetzgebung (Weg der — in Preu- 
Ben). Der Weg der Gesetzgebung in 
Preußen wird durch die drei verfassungs- 
mäßigen Gesetzgebungsfaktoren: König, 
Abgeordnetenhaus und Herrenhaus ge- 
kennzeichnet. Nach der preußischen Ver- 
fassungsurkunde wird die gesetzgebende 
Gewalt „gemeinschaftlich durch den Kö- 
nig und durch zwei Kammern ausgeübt“, 
prV 62. Eine „Teilung der Gewalten‘“ 
(etwa in dem Sinne, daß auf den Landtag 
ein Stück der Legislative übergegangen 
sei, diese also der König nicht mehr voll 
besitze) bedeutet dieser Grundatz nicht; 
der Schwerpunkt jener Bestimmung ruht 
auf dem Worte ‚ausgeübt‘, d. h. also: der 
König ist nach wie vor der einzige, all- 
einige Träger der gesetzgebenden Gewalt, 
welche ihm voll und ungeteilt zusteht, er
	        
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