Gesetzgebung in Preußen.
ist jedoch in deren Anwendung zugunsten
der Volksvertretung beschränkt. Oder:
De jure hat der König und nur er das
Recht der Gesetzgebung; de facto übt er
dieses Recht in Gemeinschaft mit dem
Landtage (Abgeordnetenhaus und Her-
renhaus) aus.
Jede der beiden Kammern hat das
Recht der Initiative, prV 64. Die Befug-
nis des Herrenhauses Finanzgesetze vor-
zuschlagen ist streitig; vgl prV 62 Abs 3.
Wichtig ist der Unterschied zwischen
allgemeinen Gesetzen einer- und Finanz-
gesetzen bzw Staatshaushaltsetats andrer-
seits, welch letztere die Besonderheit
haben, daß sie zuerst der II. Kammer (dem
Abgeordnetenhause) vorgelegt werden
müssen; die Etats können übrigens von
der I. Kammer (dem Herrenhause) auch
nur im ganzen angenommen oder abge-
lehnt werden, prV 62 Abs 3.
Der sog ordentliche Weg der Gesetz-
gebung ist der normale. Im Gegensatze
dazu steht der außerordentliche Weg der
sog Notverordnung, prV 63.
Kriterium des ordentlichen Weges ist:
daß zu einem Gesetze die Übereinstim-
mung des Königs und beider Kammern
erforderlich ist, prV 62 Abs 2; das Spezi-
fische der Notverordnung ist hingegen,
daß sie der König (als solcher) ohne An-
hörung der Kammern mit Gesetzeskraft
erläßt. Der Erlaß einer Notverordnung ist
mit wesentlichen Voraussetzungen und
Bedingungen verknüpft: Es muß sich um
die Aufrechterhaltung der öffentlichen Si-
cherheit oder die Beseitigung eines unge-
wöhnlichen Notstandes handeln, welche
den Erlaß dringend erfordert, es ist vor-
ausgesetzt, daß die Kammern nicht ver-
sammelt sind, die Verordnung ergeht
unter Verantwortlichkeit (ordnungsgemäß
auch unter Gegenzeichnung) des gesam-
ten Staatsministeriums, und die Regierung
ist verpflichtet, sie den Kammern bei
ihrem nächsten Zusammentritt sofort zur
Genehmigung vorzulegen. Die Notver-
ordnung darf ferner nie eine Verfassungs-
änderung enthalten. —
Jeder — von der Regierung oder der
Volksvertretung ausgehende — Gesetz-
entwurf wird dem Landtage zur Beratung
und Beschlußfassung vorgelegt; die Vor-
lage geht (es sei denn, daß es sich um
Finanzgesetze oder den Etat handelt, s. o.)
nach Wahl entweder erst an das Herren-
haus oder erst an das Haus der Abgeord-
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neten oder auch an beide Häuser zugleich.
Jede der Kammern berät die Vorlage nach
Maßgabe ihrer besonderen Geschäftsord-
nung. Im Hause der Abgeordneten han-
delt es sich in der Regel um drei Lesun-
gen, im Herrenhause um zwei.
Abänderungen, welche eine Kammer
vornimmt, werden der anderen Kammer
mitgeteilt, diese tritt ihnen entweder bei
oder verwirft sie; die Vorlagen gehen zwi-
schen den beiden Kammern so lange hin
und her, bis eine Übereinstimmung er-
zielt ist oder feststeht, daß eine Einigung
nicht zustande kommt. Dies bezieht sich
auf alle Einzelheiten, ausgenommen ist
lediglich der Staatshaushaltsetat (s. o.),
welchen das Herrenhaus nur als Ganzes
votiertt. Die Regeln über General- und
Spezialdiskussion, über Gesamtabstim-
mung usw finden entsprechende Anwen-
dung. In jeder Kammer entscheidet die
gewöhnliche absolute Majorität (Be-
schlußfähigkeit vorausgesetzt) mit der
Maßgabe, daß bei verfassungsändernden
Gesetzen eine zweimalige Abstimmung
(jeder Kammer) notwendig ist; zwischen
beiden Abstimmungen muß je ein Zeit-
raum von wenigstens 21 Tagen liegen,
prV 107.
Zur Übereinstimmung der beiden Kam-
mern unter sich muß die Übereinstim-
mung der Kammern (als des Landtages)
mit dem König hinzutreten. Hier gilt
— namentlich mit Bezug auf Abände-
rungen — analog, was über das Verhält-
nis zwischen Herren- und Abgeordneten-
haus gesagt ist. Jede Abänderung eines
Gesetzentwurfes durch die Volksvertre-
tung unterliegt der königlichen Nachprü-
fung, der Monarch darf sie nach seinem
freien, unumschränkten Ermessen entwe-
der gutheißen oder zurückweisen; auch
hier müssen bei obwaltenden Differenzen
so lange die gegenseitigen Verhandlungen
gepflogen werden, bis allseitige Willens-
übereinstimmung herrscht. Fügt sich z.B.
eine der Kammern dem Willen des
Königs, so ist dies so lange irrelevant, bis
auch die zweite Kammer diesem Ent-
schlusse beitritt. Ä
Die Übereinstimmung des Monarchen
und der beiden Häuser des Landtags ist
zu einem Gesetze zwar erforderlich, je-
doch an sich noch nicht ausreichend. Ein
Gesetz kommt nur durch die königliche
Sarıktion zustande. Der König ist keines-
wegs verpflichtet, einen von ihm vorgeleg-