Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

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gentretendes feindliches Verhalten, das 
zu bekämpfen sei, wird behauptet. Eben- 
sowenig ist in jeder öffentlichen Verrufs- 
erklärung schon um der bloßen Öffent- 
lichkeit willen ein grober Unfug nach 
S 36011 zu erblicken. Etwa sie verbie- 
tende Polizeiverordnungen (wie z. B. in 
Sachsen) dürften ungültig sein. Endlich 
verstößt die Durchführung einer Aussper- 
rung durch „schwarze Listen‘ auch nicht 
gegen Gw 103, RGZ 65 429. 
b. Für den durch Streik, Aussperrung, 
Boykott und Verruf dem Gegner zuge- 
fügten Schaden kann der Schädigende 
daher an und für sich zivilrechtlich auch 
nicht haftbar gemacht werden. Eine 
solche Haftung tritt vielmehr nur dann 
ein, wenn die Handlungen allgemeine 
oder besondere strafrechtliche Vorschrif- 
ten verletzen, die als Schutzgesetze im 
Sinne von B 823 Abs 2 anzusehen sind, 
wie S 240, 185, 186, 360 11, oder 
wenn Umstände hinzutreten, die die Aus- 
übung als eine vorsätzliche und gegen die 
guten Sitten verstoßende Handlung nach 
B 826 erscheinen lassen. Wann dies an- 
zunehmen ist, ist nach den besonderen 
Umständen des einzelnen Falls zu ent- 
scheiden, namentlich nach dem Verhältnis 
der zugefügten Schädigung zu dem Werte 
des zu erstrebenden Vorteils, nach den an- 
gewendeten Mitteln usw. Dieser Auffas- 
sung folgt das Reichsgericht in ständiger 
Rechtsprechung. Auch die Anwendung 
von Verruf nach Gw 153 und des dort ver- 
pönten Terrorismus gegen Arbeitskolle- 
gen und andere Parteigänger vermag, 
wenn sie in erheblichem Umfange statt- 
findet, unter Umständen den ganzen 
Streik gegen die guten Sitten verstoßen zu 
lassen, und dasselbe muß für den Boy- 
kott gesagt werden, wenn er mit den in 
Ow 153 verbotenen Mitteln durchgeführt 
wird. 
c. Aber Streik, Aussperrung, Boykott 
und Verruf kommen nicht nur in Betracht, 
soweit sie nachteilige Folgen für das Ver- 
mögen des durch sie Genötigten bringen, 
sondern auch insofern, als sie stets eine 
Beeinträchtigung der freien Erwerbstätig- 
keit des Gegners enthalten, gleichgültig, 
ob infolgedessen auch ein Vermögens- 
schaden eintritt oder nicht. Erachtet man, 
wie es richtig ist, diese freie Erwerbstätig- 
keit als durch ein absolutes Ausschluß- 
recht geschützt, ihre Ausübung sonach als 
Ausübung eines Persönlichkeitsrechtes, 
  
Gewerbliche Kampfmittel. 
so enthält jeder Streik, jede Aussperrung, 
jeder Boykott notwendig eine Verletzung 
dieses Persönlichkeitsrechtes und der Ver- 
ruf eine Anstiftung hierzu, eine Verur- 
sachung dieser -Verletzung. Aber diese 
Verletzung ist nicht ohne weiteres schon 
eine  widerrechtliche Verletzung, RGZ 
64 54. Wie jedes Recht und Rechtsgut 
nach besonderen Rechtsvorschriften ver- 
letzt werden darf, wenn dies kraft eines 
entgegenstehenden gleichstarken oder 
stärkeren Rechts oder in Verfolgung ent- 
gegenstehender berechtigter Interessen er- 
laubt ist, so ist auch hier die Verletzung 
keine widerrechtliche, wenn mit dem 
Streik, der Aussperrung, dem Boykott und 
dem Verruf berechtigte Interessen verfolgt 
und für berechtigt anzuerkennende Mittel 
dabei angewandt werden. Wann diese 
vorliegen, ist nicht schwerer zu ent- 
scheiden als die Frage, ob ein Verstoß 
gegen die guten Sitten anzunehmen sei. 
Vor dieser Entscheidung aber hat die Prü- 
fung voraus, daß sich hier ein objektiver 
Maßstab gewinnen läßt und man nicht 
erst auf das Gebiet der Moral überzu- 
greifen braucht, wenn man dem höher- 
wertigen Interesse von selbst und unmit- 
telbar Berücksichtigung zuteil werden 
läßt. Als Maßstab für die Frage, welches 
Interesse das höherwertige sei und wel- 
ches daher dem anderen zu weichen habe 
oder welches mindestens gleichwertig sei 
und daher vor dem anderen nicht zurück- 
zustehen braucht, wird dann nicht das sitt- 
liche, sondern das soziale und wirtschaft- 
liche Werturteil zu nehmen sein. Ist das 
Maß der Verletzung und zugefügten Schä- 
digung „im gerechten Verhältnisse zu dem 
umstrittenen Interesse‘, RGZ in JW 08 
39, ist das erstrebte Ziel wirtschaftlich und 
für die Allgemeinheit von mindestens 
gleichem Wert wie das Rechtsgut, durch 
dessen Schädigung das Ziel erreicht wer- 
den soll, ist also die Beeinträchtigung der 
Erwerbstätigkeit und ein etwa hierdurch 
herbeigeführter Vermögensschaden gleich- 
wertig den durch Streik, Aussperrung, 
Boykott und Verruf erstrebten Vorteilen, 
so enthalten jene Handlungen dann keine 
widerrechtlichen Verletzungen des ge- 
werblichen Betätigungsrechts. Auch hier 
ist der einzelne Fall nach den besonderen 
Umständen zu beurteilen. Würde z. B. die 
Wirkung des Boykotts jede Erwerbstätig- 
keit dauernd unterbinden oder die wirt- 
schaftliche Existenz erheblich gefährden,
	        
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