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dung von G(ewerk)v(ereinen) ist also ins-
besondere den in land- und forstwirt-
schaftlichen Betrieben beschäftigten Ar-
beitern untersagt, und zwar nicht allein
den sog „kontraktlich gebundenen“ länd-
lichen Arbeitern, wie Instleuten, Gutstage-
löhnern, sondern auch den Handarbeitern,
welche sich nur zu bestimmten Arbeiten,
wie z. B. Holzschlagen etc, verdungen ha-
ben. Für diese sowie die bei Stromschif-
fern in Dienst stehenden Schiffsknechte
und das Gesinde gelten noch heute die
Bestimmungen der 88 1—3 des Gesetzes
betr die Verletzungen der Dienstpflichten
des Gesindes und der ländlichen Arbeiter
vom 24. April 1854, GS 214, welche das
Koalitionsverbot enthalten.
In privatrechtlicher Hinsicht sind die
Gv nichtrechtsfähige Vereine im Sinne
des B. Es ist jedoch beabsichtigt, ihnen
die Rechtsfähigkeit zu verleihen (Entwurf
eines Gesetzes betr gewerbliche Berufs-
vereine RT XI. LP Sess 2 Drucks Nr 533).
Im übrigen finden die Bestimmungen des
öffentlichen Vereinsrechtes (Vereinsge-
setz vom 19. April 1908, RGBI 151) auf
sie Anwendung.
Die ersten Gv sind schon im 18. Jahrh
in England entstanden (Trade Unions),
wo sie auch ihre höchste Blüte erreicht
haben. Sie umfaßten 1900 etwa 2 Millio-
nen Mitglieder von etwa 9 Millionen
Lohnarbeitern. Ihre Stärke liegt haupt-
sächlich in dem stark ausgebildeten Hiilfs-
kassenwesen, welches für die beteiligten
Arbeiterkreise die in England fehlende
staatliche Kranken-, Unfall- und Invaliden-
versicherung ersetzt. So werden Unter-
stützungen bei Krankheiten und Arbeits-
einstellungen gezahlt, ferner Sterbegelder,
Alters- und Invalidenrenten. Insbeson-
dere aber werden Unterstützungen bei
Arbeitslosigkeit gezahlt (9—12 Schilling
in der Woche).
Die deutschen Gv unterscheiden sich
von den englischen in erster Linie da-
durch, daß sie nicht wie die englischen
ausschließlich die wirtschaftliche Lage
ihrer Mitglieder zu fördern suchen, son-
deın daneben, sogar zeitweise mit in erster
Reihe auch die politischen Interessen der
Arbeiterklassen, ja sogar religiöse Zwecke
verfolgen. Sie umfaßten 1904 etwa
1500 000 Mitglieder von etwa 12 Millio-
nen Lohnarbeitern. Die deutschen Gv
zerfallen in verschiedene Gruppen: 1. die
sozialdemokratischen Gv (Gewerkschaf-
Gewerkvereine.
ten genannt), 1868 von Bebel, Liebknecht
und v. Schweitzer gegründet, 1890 in der
Generalkommission der Gewerkschaften
Deutschlands als Zentralinstanz mit dem
Sitze anfangs in Hamburg, jetzt in Beriin
vereinigt, — 2. die freisinnigen Gv, am 27.
und 28. Sept 1868 in Berlin von Dr. Max
Hirsch und dem Verlagsbuchhändler
Duncker gegründet, in dem Verbande der
deutschen Gv (Hirsch-Dunckersche) ver-
einigt, 3. die christlich-sozialen Gv, 1899
von dem Hofprediger Stöcker gegründet,
4. die katholisch-christlichen Gv, welche
hauptsächlich unter den Bergarbeitern,
Eisenbahnern und Beamten am Nieder-
rhein und in Westfalen ihre Mitglieder ha-
ben, 5. selbständige Gv.
Die beiden ältesten Organisationen sind
die der Gewerkschaften und der Hirsch-
Dunckerschen Gv. Letztere suchen mehr
die wirtschaftlichen und Bildungsinter-
essen ihrer Mitglieder zu fördern als die
Gewerkschaften, welche mehr politische
Zwecke verfolgen, und deren Mitglieder
wohl ausnahmslos zur sozialdemokrati-
schen Partei gehören. Einen Überblick
über ihre Tätigkeit ergeben folgende Zah-
len: Gewerkschaften 1907: 1 865 506 Mit-
glieder; es wurden verausgabt für Streik-
unterstützungen: 13196363 M, Rechts-
schutz 346 773 M, Agitation 2 271 271 M,
Reiseunterstützung 869148 M, Unter-
stützung Gemaßregelter 1010045 M, Ar-
beitslosenunterstützung 6527577 M,
Krankenunterstützung 3 482822 M, Inva-
lidenrenten 384562 M, Unterstützungen
bei Umzügen, Sterbe- und Notfällen
1385808 M. — Hirsch-Dunckersche Gv
1906: 105 693 Mitglieder; es wurden ver-
ausgabt 1906: Unterstützungen bei Ar-
beitslosigkeit, Aussperrung und Streik:
567586 M, Rechtsschutzkosten 15 697 M,
Unterstützungen bei Reisen, Umzug- und
Notfällen 68597 M, Bildungsförderung
11723 M, Agitation und Reisen 167 468
Mark, Drucksachen, Arbeitsvermittelung,
Verwaltungskosten 236 490 M.
Brentano Die Arbeitergilden der Gegenwart. 71—72;
Lexis Gewerkvereine und Unternehmerverbände in
Frankreich, 79; Mehring Zur Geschichte der deutschen
Sozialdemokratie, 79, Sartoriusv. Waltershausen
Die Gewerkvereine in den Vereinigten Staaten von Nond-
amerika, ConradsJ 7 und 8; ombart Sozialismus
und sozlale Bewegung, 96, 6. Aufl 08; derselbe Dennoch,
Aus Theorie und Geschichte der gewerkschaftlichen
Arbeiterbewegung. 00; S. und B. Webb Die Geschichte
des britischen Trade- Unionismus, 9; Schmöle Die
sozialdemokratischen Gewerkschaften in Deutschland, 96,
98; Troeltsch-Hirschfeld Die deutschen sozial-
demokratischen Gewerkschaften, 05; Herkner Die
Arbeiterfrage, 4. Aufl, 05; Heil dorn Die freien (jewerk-
schaften seit 1890, 07; G oldschmidt Die deutschen
Gewerkvereine, 07; G le i chauf Geschichte des Verbandes
der deutschen Gewerkvereine, 07; Kulemann Die Ge-