Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

668 
dung von G(ewerk)v(ereinen) ist also ins- 
besondere den in land- und forstwirt- 
schaftlichen Betrieben beschäftigten Ar- 
beitern untersagt, und zwar nicht allein 
den sog „kontraktlich gebundenen“ länd- 
lichen Arbeitern, wie Instleuten, Gutstage- 
löhnern, sondern auch den Handarbeitern, 
welche sich nur zu bestimmten Arbeiten, 
wie z. B. Holzschlagen etc, verdungen ha- 
ben. Für diese sowie die bei Stromschif- 
fern in Dienst stehenden Schiffsknechte 
und das Gesinde gelten noch heute die 
Bestimmungen der 88 1—3 des Gesetzes 
betr die Verletzungen der Dienstpflichten 
des Gesindes und der ländlichen Arbeiter 
vom 24. April 1854, GS 214, welche das 
Koalitionsverbot enthalten. 
In privatrechtlicher Hinsicht sind die 
Gv nichtrechtsfähige Vereine im Sinne 
des B. Es ist jedoch beabsichtigt, ihnen 
die Rechtsfähigkeit zu verleihen (Entwurf 
eines Gesetzes betr gewerbliche Berufs- 
vereine RT XI. LP Sess 2 Drucks Nr 533). 
Im übrigen finden die Bestimmungen des 
öffentlichen Vereinsrechtes (Vereinsge- 
setz vom 19. April 1908, RGBI 151) auf 
sie Anwendung. 
Die ersten Gv sind schon im 18. Jahrh 
in England entstanden (Trade Unions), 
wo sie auch ihre höchste Blüte erreicht 
haben. Sie umfaßten 1900 etwa 2 Millio- 
nen Mitglieder von etwa 9 Millionen 
Lohnarbeitern. Ihre Stärke liegt haupt- 
sächlich in dem stark ausgebildeten Hiilfs- 
kassenwesen, welches für die beteiligten 
Arbeiterkreise die in England fehlende 
staatliche Kranken-, Unfall- und Invaliden- 
versicherung ersetzt. So werden Unter- 
stützungen bei Krankheiten und Arbeits- 
einstellungen gezahlt, ferner Sterbegelder, 
Alters- und Invalidenrenten. Insbeson- 
dere aber werden Unterstützungen bei 
Arbeitslosigkeit gezahlt (9—12 Schilling 
in der Woche). 
Die deutschen Gv unterscheiden sich 
von den englischen in erster Linie da- 
durch, daß sie nicht wie die englischen 
ausschließlich die wirtschaftliche Lage 
ihrer Mitglieder zu fördern suchen, son- 
deın daneben, sogar zeitweise mit in erster 
Reihe auch die politischen Interessen der 
Arbeiterklassen, ja sogar religiöse Zwecke 
verfolgen. Sie umfaßten 1904 etwa 
1500 000 Mitglieder von etwa 12 Millio- 
nen Lohnarbeitern. Die deutschen Gv 
zerfallen in verschiedene Gruppen: 1. die 
sozialdemokratischen Gv (Gewerkschaf- 
  
Gewerkvereine. 
ten genannt), 1868 von Bebel, Liebknecht 
und v. Schweitzer gegründet, 1890 in der 
Generalkommission der Gewerkschaften 
Deutschlands als Zentralinstanz mit dem 
Sitze anfangs in Hamburg, jetzt in Beriin 
vereinigt, — 2. die freisinnigen Gv, am 27. 
und 28. Sept 1868 in Berlin von Dr. Max 
Hirsch und dem Verlagsbuchhändler 
Duncker gegründet, in dem Verbande der 
deutschen Gv (Hirsch-Dunckersche) ver- 
einigt, 3. die christlich-sozialen Gv, 1899 
von dem Hofprediger Stöcker gegründet, 
4. die katholisch-christlichen Gv, welche 
hauptsächlich unter den Bergarbeitern, 
Eisenbahnern und Beamten am Nieder- 
rhein und in Westfalen ihre Mitglieder ha- 
ben, 5. selbständige Gv. 
Die beiden ältesten Organisationen sind 
die der Gewerkschaften und der Hirsch- 
Dunckerschen Gv. Letztere suchen mehr 
die wirtschaftlichen und Bildungsinter- 
essen ihrer Mitglieder zu fördern als die 
Gewerkschaften, welche mehr politische 
Zwecke verfolgen, und deren Mitglieder 
wohl ausnahmslos zur sozialdemokrati- 
schen Partei gehören. Einen Überblick 
über ihre Tätigkeit ergeben folgende Zah- 
len: Gewerkschaften 1907: 1 865 506 Mit- 
glieder; es wurden verausgabt für Streik- 
unterstützungen: 13196363 M, Rechts- 
schutz 346 773 M, Agitation 2 271 271 M, 
Reiseunterstützung 869148 M, Unter- 
stützung Gemaßregelter 1010045 M, Ar- 
beitslosenunterstützung 6527577 M, 
Krankenunterstützung 3 482822 M, Inva- 
lidenrenten 384562 M, Unterstützungen 
bei Umzügen, Sterbe- und Notfällen 
1385808 M. — Hirsch-Dunckersche Gv 
1906: 105 693 Mitglieder; es wurden ver- 
ausgabt 1906: Unterstützungen bei Ar- 
beitslosigkeit, Aussperrung und Streik: 
567586 M, Rechtsschutzkosten 15 697 M, 
Unterstützungen bei Reisen, Umzug- und 
Notfällen 68597 M, Bildungsförderung 
11723 M, Agitation und Reisen 167 468 
Mark, Drucksachen, Arbeitsvermittelung, 
Verwaltungskosten 236 490 M. 
Brentano Die Arbeitergilden der Gegenwart. 71—72; 
Lexis Gewerkvereine und Unternehmerverbände in 
Frankreich, 79; Mehring Zur Geschichte der deutschen 
Sozialdemokratie, 79, Sartoriusv. Waltershausen 
Die Gewerkvereine in den Vereinigten Staaten von Nond- 
amerika, ConradsJ 7 und 8; ombart Sozialismus 
und sozlale Bewegung, 96, 6. Aufl 08; derselbe Dennoch, 
Aus Theorie und Geschichte der gewerkschaftlichen 
Arbeiterbewegung. 00; S. und B. Webb Die Geschichte 
des britischen Trade- Unionismus, 9; Schmöle Die 
sozialdemokratischen Gewerkschaften in Deutschland, 96, 
98; Troeltsch-Hirschfeld Die deutschen sozial- 
demokratischen Gewerkschaften, 05; Herkner Die 
Arbeiterfrage, 4. Aufl, 05; Heil dorn Die freien (jewerk- 
schaften seit 1890, 07; G oldschmidt Die deutschen 
Gewerkvereine, 07; G le i chauf Geschichte des Verbandes 
der deutschen Gewerkvereine, 07; Kulemann Die Ge-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.