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den Gewerbefreiheit. Es begann daher
in ihren Reihen ein eifriger Kampf um
eine Neuregelung der das Handwerk be-
treffenden Gewerbevorschriften.
Die Bewegung begann mit einer im
Jahre 1848 dem Minister Camphausen
überreichten Petition der Handwerksmei-
ster der Stadt Bonn, in der eine Reihe von
Einschränkungen für das Handwerk (Mei-
sterprüfungen, Beschränkung bei der Er-
werbung des Meisterrechts, Erschwerung
betr die Niederlassung etc) gefordert
wurden. Eine Reihe süddeutscher Städte
folgte dem Beispiel Bonns. Vom 2. bis
6. Juni 1848 tagte in Hamburg der Vor-
kongreß norddeutscher Handwerker und
wünschte offen die Abschaffung der Ge-
werbefreiheit. An ihn schloß sich vom
15. Juli bis zum 18. Aug 1848 der Deut-
sche Handwerker- und Gewerbekongreß
zu Frankfurt am Main. Es wurde der
Entwurf einer allgemeinen Handwerks-
und Gewerbeordnung beraten und der
Nationalversammlung vorgelegt. Er ver-
langte vor allem Errichtung von Zwangs-
innungen mit Innungsvorständen und
einem Gewerberat, Einsetzung von Spe-
zialgewerbekammern und einer allgemei-
nen deutschen Gewerbekammer, ferner
Einführung der Meisterprüfungen, Befähi-
gungsnachweis bei Übergang zu einem
anderen Handwerk und noch eine Reihe
von bedeutenden Beschränkungen. Die
gleichen Forderungen wurden auf weite-
ren zahlreichen Kongressen gestellt. Auch
die Gesellen griffen in den Kampf ein.
Die in ihren Versammlungen zum Aus-
druck gebrachten Wünsche wichen aber
nicht erheblich von denen der Meister ab.
Am 26. Febr 1849 wurde der National-
versammlung der Entwurf einer Gewerbe-
ordnung vorgelegt. Nach ihm sollten
zwar die Gewerbebeschränkungen aufge-
hoben, das Recht zur Ausübung eines Ge-
werbes aber außer an das 25. Lebensjahr
an die Erlangung eines Befähigungsnach-
weises geknüpft werden. Letzterer wurde
besonders heftig angegriffen. Im übrigen
war die Kritik des Entwurfs so verschie-
den und die in den Zuschriften ausge-
sprochenen Mängel und Wünsche so man-
nigfaltig und einander widersprechend,
daß auf eine Beratung des Entwurfs gar
nicht eingegangen wurde und die Rege-
lung der Materie zunächst ganz unter-
blieb.
Nunmehr beschäftigten sich die Einzel-
Handwerkerfrage.
staaten mit der Handwerkerfrage In
Preußen kam es durch Gesetz vom 9. Febr
1849 zu einer Abänderung der Gewerbe-
ordnung. Sie brachte für ca 70 Gewerbe
den durch eine Prüfung zu erlangenden
Befähigungsnachweis, eine große Reihe
von Beschränkungen im Gewerbebetriebe
und unter anderem auch die Einrichtung
der Gewerberäte. Die Novelle entsprach
also den Wünschen des Handwerks.
Die anfängliche Zufriedenheit der
Handwerker mit der Gewerbegesetz-
novelle dauerte jedoch nicht lange. Es
wurden wiederum zahlreiche Kongresse
und Handwerkertage abgehalten und in
vielen Petitionen weitere Beschränkungen
des Handwerks, Erschwerung der Nieder-
lassung junger Meister, Einführung des
Zunftzwanges etc gefordert. Allein es
machten sich in vielen Kreisen auch unter
den Handwerkern Bewegungen geltend,
die für Einführung der Gewerbefreiheit
eintraten. Der am 5. Sept 1862 zu Wei-
mar gegründete Deutsche Handwerker-
bund sprach sich noch einmal kräftig für
die Zwangsinnungen aus, ging aber nach
zweijähriger Lebenszeit wieder unter. Die
Regierung hatte inzwischen ihren Stand-
punkt vollkommen geändert und in der
Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 (seit
1871 für das Deutsche Reich geltend)
wurde die vollkommene Gewerbefreiheit
eingeführt (s. Gewerbeordnung).
. Die Bewegung unter den Handwerkern
lief trotzdem ununterbrochen fort. Im
Jahre 1873 wurde der „Verein selbstän-
diger Handwerker und Fabrikanten‘‘ ge-
gründet; 1879 wurde sogar ein Programm
einer „Deutschen Handwerker- und Ge-
werbepartei‘‘ aufgestellt. Man forderte
Einführung von Arbeitsbüchern, Tren-
nung des Fabrikgesetzes von der Ge-
werbeordnung, Einführung von Gewerbe-
kammern, gewerblichen Schiedsgerichten,
obligatorischen Fortbildungsschulen etc.
Nachdem durch Gesetz von 1878 das Ar-
beitsbuch wieder eingeführt worden war,
gaben die Gesetze von 1881, 1884 und
1887 den Innungen öffentlichrechtlichen
Charakter und verliehen ihnen weit-
gehende Befugnisse betr das Lehrlings-
wesen.
Das Innungswesen hob sich zwar, kam
aber zu keiner ersprießlichen Tätigkeit,
und die Forderungen auf Zwangsinnun-
gen, Handwerkerkammern und Befä-
higungsnachweis blieben lebendig. Diese