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zeichnet sie. Aus ihrer Umgebung erken-
nen sie nichts; es fehlt ihnen gänzlich die
willkürliche Bewegung. Gehen, Stehen,
Sitzen sind ihnen unmöglich; sie erlernen
es auch nicht! Dies um so weniger, als
bei der Idiotie der Entwickelungshem-
mung der geistigen Fähigkeiten auch ein
Zurückbleiben der körperlichen Entwicke-
lung, u. a. des Wachstums, entspricht.
Ihre Nahrung verschlingen diese Ganz-
idioten völlig automatisch; wahllos stek-
ken sie Genießbares ebenso wie auch Un-
genießbares in den Mund und ver-
schlucken es sogar. Unartikulierte Schreie
oder blödes Lallen verrät ihre Stim-
mungen und dient ihnen zu Äußerungen.
Zwangsbewegungen (Tics), Krämpfe, Gri-
massenschneiden, Händeklatschen, Spei-
chelfluß, bisweilen auch, etwa vom
9, Jahre an, triebartiges Masturbieren, Un-
reinlichkeit usw sind bei diesen unglück-
lichen Wesen häufige Erscheinungen. Die
Masturbation, die von ihnen geübt und
oben erwähnt ist, wird selbstverständlich
nicht bewußt getrieben, und ebensowenig
kommt es bei ihnen etwa zu sexuellen
Attentaten auf ihre Umgebung, wie dies
bei dem Imbezillen z.B. der Fall sein kann.
Die bildungsfähigen Idioten ermöglichen
insofern wenigstens mit sich eine gewisse
Verständigung, als sie bereits einen ganz
geringen Wortschatz erwerben. Aller-
dings zeigt sich ein Anfang der Sprache
bei diesen Unglücklichen auch erst vom
5. bis 8. Lebensjahre an. Stammeln, Stot-
tern, Verschlucken von Silben, Wortver-
drehungen, mangelhafte Artikulation
kennzeichnen ihre dürftigen Äußerungen.
Bisweilen vermögen sie sogar gut aus-
wendig zu lernen; es fehlt ihnen jedoch an
dem Verständnis des doch nur mechanisch
Erlernten. Sie fassen Eindrücke auf, vor-
nehmlich solche optischer Natur; sie er-
kennen und wiedererkennen die Personen
ihrer Umgebung, besonders diejenigen,
die sie warten und pflegen. Allein jene
Eindrücke vermögen sie nicht zu vollem
Besitz zu gestalten, geschweige denn sie
zu verwerten. Die Triebe der vegetativen
Sphäre beherrschen derartige Individuen
fast gänzlich! Sie sind die geborenen
Fresser; ohne ordentliches Sättigungs-
gefühl schlingen sie gierig ihre Nahrung
in sich hinein, überessen sich häufig und
kommen deswegen fast nie aus den Ver-
dauungsstörungen heraus. Auch bei ihnen
zeigt sich triebartiges Onanieren. Sie
Idiotie.
lachen beim Essen, beim Hören von
Tönen, beim Anblick lebhafter Farben
oder beim Anziehen von ihnen gefallen-
der Kleidung und geben damit eine ge-
wisse, geringe Affektregung zu erkennen,
die auch andererseits sich in schnellem,
bisweilen nicht ungefährlichem Zornaus-
bruch zeigen kann. Allenfalls lernen sie
auch sich waschen und sich einigermaßen
anziehen. Weiter reicht es jedoch fast
nie! Dankbarkeit, Trauer oder eine son-
stige kompliziertere Affektregung bleiben
ihnen fern. Sie zeigen dagegen häufig
eine gewisse Art von Erotismus, eine
krankhafte Anschmiegsamkeit, die dem
ersten besten Objekte sich zuwendet, das
ihr Zärtlichkeitsbedürfnis, selbst wenn es
dazu seiner ganzen Art nach gar nichts
beizutragen vermag, ohne weiteres befrie-
diet. Ein Bedürfnis von Liebezuwen-
dung, das man, selbstverständlich im
höheren Grade, auch bei Minderwertigen
findet! Einfache Beschäftigung, Tüten-
kleben, kleine Buchbinderarbeiten, Stroh-
geflechte usw, können sie noch ganz gut
erlernen und ausüben; Selbständigkeit er-
langen sie auch hierin nicht. Zu gröberen
Arbeiten (Tragen, Graben usw) sind sie
geeignet und verrichten sie auch. An
Akkuratesse lassen jedoch alle Idioten es
fehlen, da ja hierzu sowohl eine gewisse
Geschicklichkeit der mechanischen Hand-
habung als auch eine größere Aufmerk-
samkeit nötig sind; dies beides fehlt aber
den Idioten! Unter den bildungsfähigen
Idioten unterscheidet man ferner die aner-
getischen von den erethischen. Jene ge-
ben sich stumpf, brütend, fast regungslos
und indifferent, diese sind die stets in
leichter Unruhe befindlichen; sie lachen,
schwatzen, grimassieren, ahmen nach,
laufen umher, bald diesem, bald jenem
sich zuwendend, ohne aber dabei zu ver-
harren. Sie fassen zwar schneller auf als
die anergetischen, sind jedoch nicht zu
fesseln, werden bald unaufmerksam und
sind abschweifend und vergeBlich. Der-
artige Individuen sind bisweilen durch ge-
schlechtliche Angriffe, Brandstiftung,
Diebstähle u. ä. ihrer Umgebung gefähr-
lich geworden. Hierfür ist vornehmlich
ihre Widerstandslosigkeit gegen ihre
Triebe und ihr Mangel an Einsicht in die
Tragweite ihrer Handlungen anzuschuldi-
gen; allein auch die Fälle sind nicht allzu
selten, in welchen derartige Idioten die
Opfer von verbrecherischen Geistesge-