Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

798 
zeichnet sie. Aus ihrer Umgebung erken- 
nen sie nichts; es fehlt ihnen gänzlich die 
willkürliche Bewegung. Gehen, Stehen, 
Sitzen sind ihnen unmöglich; sie erlernen 
es auch nicht! Dies um so weniger, als 
bei der Idiotie der Entwickelungshem- 
mung der geistigen Fähigkeiten auch ein 
Zurückbleiben der körperlichen Entwicke- 
lung, u. a. des Wachstums, entspricht. 
Ihre Nahrung verschlingen diese Ganz- 
idioten völlig automatisch; wahllos stek- 
ken sie Genießbares ebenso wie auch Un- 
genießbares in den Mund und ver- 
schlucken es sogar. Unartikulierte Schreie 
oder blödes Lallen verrät ihre Stim- 
mungen und dient ihnen zu Äußerungen. 
Zwangsbewegungen (Tics), Krämpfe, Gri- 
massenschneiden, Händeklatschen, Spei- 
chelfluß, bisweilen auch, etwa vom 
9, Jahre an, triebartiges Masturbieren, Un- 
reinlichkeit usw sind bei diesen unglück- 
lichen Wesen häufige Erscheinungen. Die 
Masturbation, die von ihnen geübt und 
oben erwähnt ist, wird selbstverständlich 
nicht bewußt getrieben, und ebensowenig 
kommt es bei ihnen etwa zu sexuellen 
Attentaten auf ihre Umgebung, wie dies 
bei dem Imbezillen z.B. der Fall sein kann. 
Die bildungsfähigen Idioten ermöglichen 
insofern wenigstens mit sich eine gewisse 
Verständigung, als sie bereits einen ganz 
geringen Wortschatz erwerben. Aller- 
dings zeigt sich ein Anfang der Sprache 
bei diesen Unglücklichen auch erst vom 
5. bis 8. Lebensjahre an. Stammeln, Stot- 
tern, Verschlucken von Silben, Wortver- 
drehungen, mangelhafte Artikulation 
kennzeichnen ihre dürftigen Äußerungen. 
Bisweilen vermögen sie sogar gut aus- 
wendig zu lernen; es fehlt ihnen jedoch an 
dem Verständnis des doch nur mechanisch 
Erlernten. Sie fassen Eindrücke auf, vor- 
nehmlich solche optischer Natur; sie er- 
kennen und wiedererkennen die Personen 
ihrer Umgebung, besonders diejenigen, 
die sie warten und pflegen. Allein jene 
Eindrücke vermögen sie nicht zu vollem 
Besitz zu gestalten, geschweige denn sie 
zu verwerten. Die Triebe der vegetativen 
Sphäre beherrschen derartige Individuen 
fast gänzlich! Sie sind die geborenen 
Fresser; ohne ordentliches Sättigungs- 
gefühl schlingen sie gierig ihre Nahrung 
in sich hinein, überessen sich häufig und 
kommen deswegen fast nie aus den Ver- 
dauungsstörungen heraus. Auch bei ihnen 
zeigt sich triebartiges Onanieren. Sie 
  
Idiotie. 
lachen beim Essen, beim Hören von 
Tönen, beim Anblick lebhafter Farben 
oder beim Anziehen von ihnen gefallen- 
der Kleidung und geben damit eine ge- 
wisse, geringe Affektregung zu erkennen, 
die auch andererseits sich in schnellem, 
bisweilen nicht ungefährlichem Zornaus- 
bruch zeigen kann. Allenfalls lernen sie 
auch sich waschen und sich einigermaßen 
anziehen. Weiter reicht es jedoch fast 
nie! Dankbarkeit, Trauer oder eine son- 
stige kompliziertere Affektregung bleiben 
ihnen fern. Sie zeigen dagegen häufig 
eine gewisse Art von Erotismus, eine 
krankhafte Anschmiegsamkeit, die dem 
ersten besten Objekte sich zuwendet, das 
ihr Zärtlichkeitsbedürfnis, selbst wenn es 
dazu seiner ganzen Art nach gar nichts 
beizutragen vermag, ohne weiteres befrie- 
diet. Ein Bedürfnis von Liebezuwen- 
dung, das man, selbstverständlich im 
höheren Grade, auch bei Minderwertigen 
findet! Einfache Beschäftigung, Tüten- 
kleben, kleine Buchbinderarbeiten, Stroh- 
geflechte usw, können sie noch ganz gut 
erlernen und ausüben; Selbständigkeit er- 
langen sie auch hierin nicht. Zu gröberen 
Arbeiten (Tragen, Graben usw) sind sie 
geeignet und verrichten sie auch. An 
Akkuratesse lassen jedoch alle Idioten es 
fehlen, da ja hierzu sowohl eine gewisse 
Geschicklichkeit der mechanischen Hand- 
habung als auch eine größere Aufmerk- 
samkeit nötig sind; dies beides fehlt aber 
den Idioten! Unter den bildungsfähigen 
Idioten unterscheidet man ferner die aner- 
getischen von den erethischen. Jene ge- 
ben sich stumpf, brütend, fast regungslos 
und indifferent, diese sind die stets in 
leichter Unruhe befindlichen; sie lachen, 
schwatzen, grimassieren, ahmen nach, 
laufen umher, bald diesem, bald jenem 
sich zuwendend, ohne aber dabei zu ver- 
harren. Sie fassen zwar schneller auf als 
die anergetischen, sind jedoch nicht zu 
fesseln, werden bald unaufmerksam und 
sind abschweifend und vergeBlich. Der- 
artige Individuen sind bisweilen durch ge- 
schlechtliche Angriffe, Brandstiftung, 
Diebstähle u. ä. ihrer Umgebung gefähr- 
lich geworden. Hierfür ist vornehmlich 
ihre Widerstandslosigkeit gegen ihre 
Triebe und ihr Mangel an Einsicht in die 
Tragweite ihrer Handlungen anzuschuldi- 
gen; allein auch die Fälle sind nicht allzu 
selten, in welchen derartige Idioten die 
Opfer von verbrecherischen Geistesge-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.