804
Seuche durch zuwandernde Arbeiter und
Reisende zurückzuführen sein werden (so
auch Kirchner Ges Grundlagen der
Seuchenbekämpfung XIII). Durch dieses
Gesetz wurde eine zweifache Impfung vor-
gesehen, d. h. die Revakzination in
Deutschland eingeführt. Erstens soll
jedes Kind vor dem Ablauf des nach sei-
nem Geburtsjahr folgenden Kalenderjahrs
geimpft werden, sofern es nicht nach
ärztlichem Zeugnis die natürlichen Blat-
tern überstanden hat, zweitens soll aber
auch jeder Zögling einer öffentlichen
Lehranstalt oder einer Privatschule inner-
halb des Jahres, in welchem der Zögling
das zwölfte Jahr zurücklegt, der Schutz-
pockenimpfung unterzogen werden, so-
fern er nicht nach ärztlichem Zeugnis in
den letzten fünf Jahren die natürlichen
Blattern bestanden hat oder mit Erfolg
geimpft ist, $ 1. Die 88 2—14 dienen
der Durchführung dieser Vorschriften,
$ 12 verlangt von den Eltern etc auf amt-
liches Erfordern die Führung des Nach-
weises der stattgefundenen Impfung
mittels Impfscheines und $ 14 Abs 1 trifft
für diesen Fall eine Strafbestimmung.
Neben dieser ist von höchster Bedeutung
die strafrechtliche Vorschrift des Abs II
des gleichen Paragraphen: „Eltern,
Pflegeeltern und Vormünder, deren
Kinder und Pflegebefohlene ohne ge-
setzlichen Grund und trotz erfolgter
amtlicher Aufforderung der Impfung
oder der ihr folgenden Gestellung ent-
zogen geblieben sind, werden mit Geld-
strafe bis zu 50 M oder mit Haft bis
zu drei Tagen bestraft.“ Es erhebt sich
hier vor allem die Frage, ob diese Be-
stimmung dazu dienen soll, nur die Impf-
weigerung mit einer einmaligen Strafe zu
belegen, oder ob auf Grund dieser Vor-
schrift etwa durch willkürlich häufige
amtliche Aufforderungen immer wieder
erneute Bestrafungen vorgenommen wer-
den können, was einen viel stärkeren
Zwang gegenüber den Impfweigerern be-
deuten würde. Die Lösung dieser Frage
hängt mit der Erörterung zusammen, ob
wir das wiederholte Delikt des 8 14 Abs II
als ein Dauerdelikt oder als eine Reihe
selbständiger Delikte anzusehen haben,
und ob die festgesetzte Strafe als Exeku-
tivstrafe oder Kriminalstrafe sich charak-
terisiert. Erst nach Lösung dieser Schwie-
rigkeiten kann entschieden werden, ob die
fortgesetzte Bestrafung aus $ 14 Abs II
Impfvorschriften.
gegen den strafrechtlichen Grundsatz „ne
bis in idem‘ verstoßen würde. Diese
Untersuchungen sind von mehreren Ju-
risten vorgenommen worden und haben
zu verschiedenen Resultaten geführt.
Während unter den neueren Autoren
Bernhardi die mehrfache Bestrafung für
zulässig erachtet, steht eine andere, noch
jüngere, aber sehr bedeutende Arbeit auf
entgegengesetztem Standpunkte. Kast-
ner gelangt unter Annahme des Charak-
ters der Kriminalstrafe und des Dauerde-
likts zu der Überzeugung, daß eine erneute
Strafverfolgung unzulässig ist. „Da eine
Unterbrechung der Einheit des Impfdauer-
delikts nur zu gründen wäre auf eine durch
die erfolgte Bestrafung verursachte Unter-
brechung der Identität des Entschlusses,
und da andererseits eine solche Unter-
brechung unmöglich ist, so bildet bei der
Impfweigerung der vor der Bestrafung
liegende Teil mit dem nach ihr liegenden
ein einheitliches untrennbares Ganzes.
Das die Bestrafung überdauernde rechts-
widrige Verhalten kann daher nicht be-
sonderer Bestrafung unterworfen werden,
denn diese Bestrafung wäre als zweifache
Ahndung eines und derselben Deliktes ein
Verstoß gegen den Grundsatz ‚ne bis in
idem‘.‘‘“ Auf dem gleichen Standpunkte
steht der „Bund der Impfgegner‘“, der sich
in Deutschland gebildet hat. Man sieht
aus dieser Vereinsgründung, ein wie vita-
les Interesse große Kreise an der Inter-
pretation dieser Strafbestimmung haben.
(S. auch die unten angegebene Literatur.)
Für die Pockenbekämpfung gilt ferner
die vom Bundesrat am 28. Jan 1904 fest-
gestellte Anweisung zur Bekämpfung der
Pocken.
Neben den oben erwähnten zwei Imp-
fungen in gewöhnlichen Zeitläuften sind
außerordentliche Zwangsimpfungen beim
Ausbruch der Krankheit nur dort ausführ-
bar, wo landesrechtliche Bestimmungen
dies zulassen. Für Preußen gibt eine
Handhabe hierzu das sanitätspolizeiliche
Regulativ vom 8. Aug 1835, jedoch auch
in anderen Einzelstaaten bestehen dies-
bezügliche Bestimmungen.
Zum Impifgesetz vom 8. April 1874 sind
vom Bundesrate Ausführungsbestimmun-
gen erlassen worden unter dem 16. Okt
1874, 5. Sept 1878, 18. Juni 1885 und dem
28. Juni 1899, Die erstgenannten Erlasse
betrafen Formularfragen und die Rege-
lung der Ausführung des Impfgeschäftes,