Interpolationen.
ist die Interpolationenerkenntnis außer-
ordentlich gefördert worden, wobei aber
darauf hingewiesen werden muß, daß bis-
her die Digesten mehr nach dieser Rich-
tung erforscht worden sind als der Codex.
Über die im einzelnen anzuwendenden
Methoden ist folgendes zu sagen. Aus-
zuscheiden sind einerseits die unbewuß-
ten Änderungen des Textes, wie sie beim
Abschreiben mit unterlaufen konnten.
Diese sind keine Interp, ebensowenig wie
die bereits erwähnten Glosseme. Hierbei
ist aber zu beachten, daß erklärende Zu-
sätze die mit id est oder ähnlich eingelei-
tet werden, sowohl Glosseme als auch
wahre Interp sein können. In manchen
Stellen ist die Interp mit vollständiger
Sicherheit nicht nachzuweisen; ihre Fas-
sung erscheint aber sehr interpolations-
verdächtig. Manchmal kann dieser Ver-
dacht so weit gehen, daß man geneigt sein
könnte, die Unterschiebung eines ganz
neuen Textes anzunehmen, der einem klas-
sischen Juristen in den Mund gelegt wird,
so zZ. B. in D 19, 2, 25 pr. Diese Sub-
stituierung erklärt Gradenwitz dahin, daß
es sich hier um eine neue Verordnung
Justinians handelt, die in den Codex ge-
hört hätte, aber vor dem Plan einer Neu-
redaktion desselben erlassen worden war
und daher in die Digesten eingefügt
wurde.
Kommt man für manche Stelle nicht
über den Verdacht der Interp hinaus, so
ergibt sich für andere eine solche mit
zwingender Notwendigkeit dadurch, daß
sie in größerem oder geringerem Umfang
entweder dem Stil oder der Denkweise
des Juristen, von dem sie herrühren sol-
len, nicht entsprechen. In vielen Fällen
1äßt sich in solchen Stellen mit voller
Deutlichkeit die korrigierende Hand Tri-
bonians und dessen Kanzleistil erkennen.
Zur Annahme von Interp gelangt man
teils aus äußeren, teils aus inneren Grün-
den! Mit großer Wahrscheinlichkeit ist
Tribonianische Überarbeitung anzuneh-
men, wenn in der Stelle ein unmotivierter
Subjektwechsel eintritt oder aus der Kon-
struktion gefallen wird. Verdächtig er-
scheinen auch Zusätze, dieden Worten des
klassischen Juristen angehängt werden
und dieselben abschwächen, wie melius
est, benignius est, oder quod cum durum
sit, oder sed hoc iniqum est. In gleicher
Weise machen mitunter den Eindruck von
Interp Anhängsel, die sich mit id est, hoc
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est, ut puta, si forte einführen und über-
flüssige Erklärungen enthalten. Gleiches
gilt auch von zugefügten antithetischen
Tatbeständen oder Ausnahmetatbestän-
den, die mit nisi mitten in die Erörterung
gestellt werden.
Zweifellos ist die Interp, wenn die Dis-
position im Ablativus absolutus gegeben
wird, ferner wenn die Begründung vom
Standpunkt des klassischen Juristen unbe-
dingt falsch ist, wie in D 44, 7, 3, 4, und
wenn mitten in eine gute Deduktion ein
ganz schwaches Argument sich einschiebt.
Zweifellos liegt auch eine Interp vor,
wenn das, was der Jurist angeblich sagt,
zu seiner Zeit gar nicht gesagt werden
konnte, wie in D 2, 14, 10 pr, die aus
der Zeit des Pius stammt und nicht ganz
echt sein kann, weil darin die Rede von
der Legalhypothek des Fiskus ist, die erst
unter Caracalla eingeführt wurde.
Die Korrektur der Kompilatoren kann
häufig von außen her aus andern Über-
lieferungen nachgewiesen werden, so na-
mentlich aus Gajus’ Institutionen, den Va-
tikanischen Fragmenten, den Sententiae
des Paulus und für den Codex aus dem
Codex Theodosianus. Wenn Zeugnisse,
die außerhalb des Corpus juris liegen,
nicht beigebracht werden können, so muß
das Emblem aus innern Gründen aus der
Stelle selbst hergeleitet werden. Waren
es in erster Linie historische und stili-
stische Erwägungen, die bei der Aufsu-
chung von Interp zum Ziele führten, so
dürfen hierbei auch grammatische
und lexikographische Hilfsmittel nicht
außer acht gelassen werden. So ist bei-
spielsweise das Wort „eam“ in D 13, 7,
8, 1 zunächst unverständlich, erhält aber
einen richtigen Sinn, wenn man mit Ru-
dorff annimmt, daß in der Stelle ursprüng--
lich von fiducia die Rede war und dies
Wort von den Kompilatoren durch pig-
nus ersetzt wurde. Ebenso erklärt sich
die an sich sinnlose Stelle D 44, 7, 14,
auch hier handelt es sich bei Julian um
die fiducia.. Von den Kompilatoren
stammt auch das dotis satisfieri, dotis ist
hier durch rei uxoriae zu ersetzen.
Unverkennbar byzantinisches Gepräge
haben Wendungen und Worte wie pecu-
niae minimae numeratae statt non nume-
ratae, generaliter sancire und definire,
appertissimae oder manifestissimae pro-
bationes, compellere für das einfache
„müssen“ und coarctare für compellere,