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compensationen habere, coadunare, satis-
dationem dare celebrare statt perficere,
cumulus für viel, regressus, actio statt ju- ;
dicium und judicium statt jus (z. B. in
judicium vocare), endlich hält Gradenwitz
die Worte actio praescriptis verbis über-
all für interpoliert, was aber nicht ganz
einwandfrei erscheint.
Die Interpolationenfrage wird in vielen Schriften an-
läßlich der Besprechung einzeiner Stellen behandelt,
neuestens auch von Mitteis Römisches Privatrecht bis
auf Diokletian 1 (1908). Außerordentlich wertvolle Beiträge
enthalten auch die Noten zu der Corpus juris-Ausgabe von
Mommsen und Krüger, ebenso auch die vortreff-
lichen Noten von Lenelin seiner Palingenesie. Außerdem
mögen noch als die wichtigsten Spezialarbeiten über die
Interpolationenfrage erwähnt werden: Eisele Ztschr d.
SavSt 7 (1886) 15ff, O (1888) 296ff, 11 (1890) 1ff, 18
(1892) 218ff, 16 1ff; Gradenwitz Interpolationen in
den Pandekten, Berlin 87; Grupe Die Qajus-Institutionen-
fragmente in den Justinisnischen Digesten, Ztschr d. SavSt
16 (1895) 300ff: Zur Sprache der Gajua-Digestenfragmente,
Ztechr d. SavSt 17 (1896) 331ff und 18 (1897) 2138;
A B pleton Des interpolations dans les Pandectes et des
methodes propres & les d&couvrir, Paris 95, dazu Kipp
Ztschr d. SavSt 16 333 und neuestens Jörs Art Digesta
in Pauly-Wissowa; Kalb Die Jagd nach Interpolationen,
Festschrift, 97, und dessen Aufsatz Roms Juristen, Jahrb
f. Altertumswissenschaft. Für den Codex sind die Inter-
lationen verhältnismäßig weniger erforscht, aber vgl
isele im zit Bd 7; Grupe Zur L.atinität Justinians
Ztschr d. SavSt 14 224ff und 15 8327ff; Krüger Be-
merkungen über den Sprachgebrauch der Kaiserkonstitu-
tionen, im ZentrArch f. lateinische Lexikographie 10 (1898)
144 ff und 11 (1900) 413 ff. Marcusen.
Interpretatio (Fortbildung des
Rechts). Seit der Redaktion der XII tab
ist der römische Gesetzgebungsapparat
für die Zwecke des Privatrechts, soviel wir
wissen, etwa 11/, sc lang nur in sehr be-
schränktem Maße in Tätigkeit getreten.
Die Rechtsentwickelung selber stand na-
türlich nicht still, sie wußte sich vielmehr
auf eine eigentümliche Weise durchzu-
setzen: sie erfolgte nach unseren Quellen
nämlich vorzugsweise durch das Kolle-
gium der pontifices, das von Beginn der
römischen Geschichte an bis etwa in die
Mitte des 5. sc der Stadt (= ca 300 v. Chr)
die Pflege der Rechtswissenschaft fast
ausschließlich in Händen hatte.
Der Weg hierzu war durch die XII tab
selbst gebahnt worden, indem sie nur
einen kleinen Kreis von Geschäftsformen
schufen und im übrigen der Willkür der
Kontrahenten freien Spielraum gewähr-
ten, diese Formen mit beliebigem Inhalt
auszufüllen.
Ebenso bestimmten auch die Legisak-
tionen nur in allgemeinen Umrissen die
einzelnen Ansprüche, die unter sie fielen,
und gewährten so der Auslegung ein wei-
tes Feld der Betätigung. Das noch un-
vollkommene Gesetzesrecht forderte der-
gestalt geradezu eine Ergänzung und
Durchbildung durch die Praxis heraus.
So war es den pontifices ein leichtes,
den Bedürfnissen des praktischen Lebens
Interpolationen — Interpretatio.
durch Schaffung neuen Rechtes entgegen-
zukommen.
Einesteils legten sie nämlich gewissen
Gesetzestexten Bedeutungen unter, die
diesen von Hause aus fremd waren, so
z. B. bei der Ausdehnung der Tutel über
die Freigelassehen auf den Patron und
seine Nachkommen, dem das Gesetz ur-
sprünglich nur ein Erbrecht gewährt hatte.
Oder aber sie mißdeuteten absichtlich
die Worte des Gesetzes, wie bei der Man-
zipation der Töchter und Enkel, bei der
nach ihnen schon ein einmaliger Verkauf
genügen sollte, oder bei dem Ausschluß
der agnatae von der Erbschaft.
Andererseits aber benutzten sie vor al-
lem die bestehenden rechtsgeschäftlichen
Formen, vorzugsweise die mancipatio und
die vindicatio, zu Zwecken, für die sie ur-
sprünglich nicht bestimmt waren, und die-
sem Bestreben verdanken alle jene eigen-
tümlichen Auskunftsmittel und rechtlichen
Schleichwege, an denen das ältere Recht
so reich ist, ihr Dasein: die in iure cessio,
die Freilassung, die coemptio fiduciaria,
die Schaffung und älteste Entwickelung
des Testaments, vgl m. Arb ZfvergIRW 12
1ff, sind alle ein Werk der Pontifices.
Infolge des Umstandes nun, daß die Be-
schlüsse des Pontifikalkollegiums schrift-
lich fixiert und aufbewahrt wurden, bil-
dete sich so binnen Kürze eine bestimmte,
gleichförmige Praxis, die sich bald zu Ge-
wohnheitsrecht fortentwickelte.
Diese fortbildende Tätigkeit der ponti-
fices nun, die wir indessen nur auf dem
Gebiete des Privatrechts und Zivilprozes-
ses verfolgen können, bezeichnen unsere
Quellen als interpretatio, vgl 1 2 88 5,
38 D 1, 2; Cic or 1 45, 198; de leg I 4,
12; zuweilen als disputatio fori, 1285 D
1, 2; Cic Top 14, 56; 19, 72; ihr Produkt
als ius civile im engeren Sinne, | 2 88 5,
8, 12D 1, 2; Paulus 4, 8, 22. Vgl hierzu
Ehrlich Beiträge zur Theorie der
Rechtsquellen, 02,
Übrigens scheint für die Bestrebungen
eine Grenze existiert zu haben insofern,
als jeder im Wege der Klage geltendge-
machte Anspruch auch eine Stütze im Ge-
setze besitzen mußte; die pontifices ha-
ben keinen Rechtssatz geschaffen, der sich
nicht auf eine der bestehenden Legisak-
tionen gestützt hätte. Vglv. Jhering
Geist 2 650 ff.
Ihren Abschluß fand diese Entwicke-
lung durch die bekannte, wohl von Appius