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23 Verfassungen und Grundgesetze. Zu-
erst haben Bonapartes Feldzüge des Jah-
res 1796 verschiedene italienische Fürsten
des Landes vertrieben. Die Häuser Este,
Bourbon und Habsburg-Lothringen ver-
loren ihre italienischen Besitzungen, der
Kaiser Mailand. Venedig, Lucca, Genua,
Sardinien und der Kirchenstaat wurden
ebenfalls getroffen, Verfassungen wurden
geändert und wieder geändert, als nach
Napoleons Sturz die vertriebenen Fürsten
zurückkehrten. Nach mancherlei weite-
ren Änderungen kommt dann die Verfas-
sungsfrage im großen Freiheitsjahre 1848
in den verschiedenen Ländern zugleich in
Fluß. Das Königreich beider Sizilien er-
hält von Ferdinand Il. am 10. Febr eine
oktroyierte Verfassung, in Toskana wird
das Staatsgrundgesetz am 15. Febr publi-
ziert, in Sardinien am 4. März, der Papst
Pius IX. sanktioniert das Staatsgrund-
gesetz des Kirchenstaats am 14. März, das
Königreich Sizilien erhält ein solches am
10. März, die römische Republik endlich
am 9. Febr des nächsten Jahres 1849. Von
allen diesen V besteht heute nur noch die
sardinische, sie ist zur V des Königreichs
It geworden und an Stelle der anderen
getreten, die durch den Siegeszug Sar-
diniens in Italien fortgespült worden sind.
Die Politik Carlo Albertos von Sardinien
hatte als wichtigste Richtlinie die Be-
freiung It durch das italienische Volk ge-
wählt, demgemäß bedurfte sie weit-
hehendster Popularität und Unterstützung
der breiten Menge. Daraus erklären sich
die bedeutenden Zugeständnisse an das
Volk, wie z. B. die allgemeine Wahl-
gleichheit, obgleich gerade schon in frü-
heren Jahren, so 1833, V, die sich auf
ständischer Gliederung aufbauten, vor-
geschlagen worden waren. Es war Ca-
vour, der Gründer des geeinten It, der
sich gerade gegen den letzteren reaktio-
nären Gedanken wandte und kurz vor Er-
laß der V in der Zeitung ‚Il risorgimento‘“‘
bekämpfte. Die V ist der französischen
des Jahres 1830 nachgebildet, unterschei-
det sich aber vorteilhaft von dieser in
einigen Punkten, in denen sie der belgi-
schen folgt. Diese V auch in den übrigen
Ländern einzuführen, d. h. die anderen
Länder mit der sardinischen Krone zu
vereinigen, gelang Carlo Alberto nicht
mehr. Er dankte nach der Schlacht von
Novara, da es ihm nicht gelungen war,
das österreichische Joch zu sprengen, zu-
Italien (Verfassung).
gunsten seines Sohnes Viktor Emanuel
ab. Die ersten Erfolge verdankte der
neue König der französischen Hilfe im
Jahre 1859, den gemeinsamen Waffen-
erfolgen folgte die Befreiung der Lom-
bardei, in der nach einer Volksabstim-
mung die sardinische V am 7. Dez 1859
eingeführt wurde. Den geflohenen Herr-
schern Toskanas und Parmas sollte nach
den Abmachungen des Züricher Vertrages
in ihre Länder zurückzukehren erlaubt
sein, ihre Völker erklärten sich jedoch in
Volksabstimmungen mit überwiegender
Mehrheit für den Anschluß an das popu-
läre Sardinien, als die verfassungsmäßige
Monarchie, und die Carlo-Albertinische
Verfassung wurde in Emilia und Toskana
durch die Gesetze vom 15. April 1860 ein-
geführt. Die Freiheitsbewegung griff
besonders durch die Kämpfe der Gari-
baldischen Freischaren immer weiter nach
Süden um sich, nach dem Siege von Ca-
stelfidardo konnten in den Marken und
Umbrien, in Sizilien und Neapel die An-
schlußBabstimmungen vorgenommen wer-
den, überall erklärten sich große Mehr-
heiten für den schwärmerisch als Be-
freier verehrten Viktor Emanuel, und
demgemäß wurde durch Dekret vom
17. Dez 1860 die sardinische V in diesen
Ländern eingeführt. Die letzten Land-
vermehrungen hat It Preußen zu ver-
danken, 1866 unmittelbar und 1870 mittel-
bar dadurch, daß Frankreich in seiner Be-
drängnis gezwungen war, die dem Papst
gelassene Schutzwache zurückzuziehen,
und das allgemeine internationale Inter-
esse auf den deutsch-französischen Krieg
gelenkt war, so daß Italien mit dem Papst
leicht fertig werden und Rom besetzen
konnte. In den durch den Krieg von 1866
an Italien gekommenen Ländern wurde
nach Vornahme einer pro forma abgehal-
tenen Volksabstimmung die V durch De-
kret vom 28. Juli 1866 eingeführt, in den
römischen Provinzen ebenso durch De-
kret vom 9. Okt 1870. Einen wichtigen
Abschluß bildet dann noch das Garantie-
ges vom 13. Mai 1871. Die sardinische
V hatte nun allgemeine Geltung im heu-
tigen politischen Italien. Da die sardi-
nische V keine Angabe der zum König-
reich gehörigen ‚Länder aufweist, so war
in dieser Beziehung eine Änderung
nicht notwendig, eine solche ist auch be-
züglich der Titulatur des Herrschers ver-
mieden worden, der König ist in der V