Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

Jugendgerichte. 
mäßig das Verfahren ein und übergibt die 
Akten dem Vormundschaftsgericht, wel- 
ches dann wieder mit Hilfe des FA prüft, 
ob und welche Erziehungsmaßregeln am 
Platze sind. Einen Teil dieser Maßregeln 
führt dann der FA aus, indem eines seiner 
Mitglieder die Erziehungspflegschaft, die 
persönliche Einwirkung oder die Beob- 
achtung übernimmt, wie der „Probation 
Officer‘‘ des amerikanischen Systems. In 
den Fällen, welche gleichwohl vor das 
Schöffengericht kommen, sind als Zeugen 
oder Sachverständige geladene Mitglieder 
des FA bei der Hauptverhandlung zu- 
gegen, wirken bei der Vernehmung von 
Kindern mit, übernehmen Ermittelungen 
und wiederum nötig werdende Er- 
ziehungspflegschaften. 
Diese Einrichtung fand das ‚,)‘‘ vielfach 
vor, als es im Laufe des Jahres 1908 an 
zahlreichen Orten eingeführt wurde. Das 
Wesen des von Amerika Überkommenen 
ist die Spezialisierung des Richters, das 
Wesen des Vorgefundenen die Einfluß- 
nahme pädagogischer Elemente. Beides 
trachtet man nun zu verbinden. 
Auf die Form, in welcher sich die Spe- 
zialisierung des Richters in Deutschland 
verwirklichen läßt, ohne eine Gesetzesän- 
derung vorzunehmen, hat zuerst Köhne 
DJZ 05 579 aufmerksam gemacht. An 
Orten mit mehreren Amtsrichtern sollte 
im Wege der Geschäftsverteilung der 
Vormundschaftsrichter zum Schöffenrich- 
ter für Jugendliche gemacht werden. 
Diese Verfahrensart ist z. B. in Cöln ge- 
wählt worden, wo jeder Vormundschafts- 
richter zugleich das amtsgerichtliche Straf- 
dezernat gegen Jugendliche innehat. 
Besonders geeignet, um den Tauglich- 
sten auszuwählen, dürfte die Form sein, 
einem bewährten Vormundschaftsrichter 
sämtliche Strafsachen gegen Jugendliche 
und die mit den Strafsachen zusammen- 
hängenden Fürsorgesachen zu überlassen. 
Da nun aber für einen Teil der Strafsachen 
die Strafkammern ausschließlich zuständig 
sind und auch von der Überweisungsbe- 
fugnis des G 75 nicht immer Gebrauch 
emacht wird, so bleibt ein Teil der Ju- 
gendlichen von der Wohltat dieser Ein- 
richtung ausgeschlossen, und nur da, wo 
ein FA gebildet ist, wird sich sein Ein- 
fluß auch auf die der Strafkammer zu- 
gehenden Sachen erstrecken. Roth- 
schild MonSchrKrimPsych 08 625 
empfiehlt de lege ferenda: „den Kreis 
  
873 
überweisungsfähiger Delikte, soweit es 
sich um Jugendliche handelt, zu erwei- 
tern; in Betracht kommen die Fälle des 
5 243, 244, 249 ff, 306 ff, 1763“, Es wird 
vor den ]J durchweg nach folgenden 
Grundsätzen verfahren: 
1. Das Publikum wird durch Wahl der 
Verhandlungsstunde und Handhabung 
der Sitzungspolizei möglichst fernge- 
halten. 
2. Die Verhandlungen gegen Jugend- 
liche werden von denen gegen Erwach- 
sene räumlich und zeitlich getrennt; selbst 
bei Strafsachen, an deren Verübung Ju- 
gendliche neben Erwachsenen beteiligt 
waren, findet, soweit irgend möglich, eine 
Abtrennung statt. 
3. Auch ein Staatsanwalt spezialisiert 
sich für Jugendsachen und erhält allein 
deren Bearbeitung im Vorverfahren. Zu 
seinen Ermittelungen bedient er sich der 
Vereinshilfe und der FA, zur Vernehmung 
der örtlich zuständigen Jugendrichter. 
4. In der Verhandlung treten die For- 
malien zurück gegenüber der Verständi- 
gung zwischen Jugendrichter und Kind. 
5. Die Untersuchungshaft fällt fort. Wo 
dringender Fluchtverdacht besteht, tritt 
die vorläufige Unterbringung gemäß 
FEGes 5 oder auf Grund des B 1666 und 
1833 an die Stelle der Untersuchungshaft. 
Auch übernehmen Vereine oder ver- 
trauenswürdige Private freiwillig eine 
außeramtliche Obhut. 
6. Anklagebank und Amtstrachten fallen 
fort. An manchen Orten sitzt das ange- 
klagte Kind zwischen den Gerichtsperso- 
nen oder zwischen den pädagogischen 
Sachverständigen. 
7. Es findet stets eine Verteidigung oder 
eine Verbeistandung statt. Die gesetz- 
lichen Vertreter werden, wenn erreichbar, 
hinzugeladen. 
8. Die Anordnung oder Ankündigung 
einer bestimmten Erziehungsmaßnahme 
erfolgt in unmittelbarem Anschluß an die 
Verkündung des Urteils. 
9. Die pädagogischen Sachverständigen 
(Mitglieder des FA oder eines Er- 
ziehungsvereins, Lehrer, Pfarrer usw) 
greifen in die Verhandlung ein und wer- 
den oft gutachtlich gehört. 
10. Die Persönlichkeit des Jugend- 
lichen, seine Umgebung, die Motive der 
Tat werden genauer erforscht. Die Tat 
ist nicht mehr Hauptgegenstand, sondern
	        
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