Full text: Rechtslexikon. 1. Band: A-K (1)

Jugendgerichte. 
Erziehung organisatorisch sicherstelle“. 
Das Gegenteil ist richtig: das J wird eine 
reinliche Scheidung schaffen durch erzieh- 
liche Behandlung der nicht strafwürdigen, 
mitleiderregenden Elemente. Hierdurch 
kann die Repression gegen die ausge- 
schiedenen antisozialen Elemente mit 
einer sieghaften Schonungslosigkeit aus- 
gerüstet werden. Es wird nicht vorkom- 
men, daß ein strafwürdiges Verschulden 
statt durch Strafe durch Erziehung ge- 
sühnt werden soll. Es soll ja vielmehr 
erst noch festgestellt werden, ob Erzieh- 
barkeit oder Strafwürdigkeit vorliegt. 
Wenn das Gesetz darauf verzichten will, 
das Undefinierbare zu definieren, so ist 
es kein Fehler, wenn es die Entscheidung 
— die eventuell auf Grund eines Experi- 
ments ergeht — in die Hand eines beson- 
ders sachkundigen Gerichts legt. Durch 
den Erziehungsversuch wird erst festge- 
stellt, ob wir in dem Jugendlichen einen 
strafwürdigen, „schlechten “ Menschen 
vor uns haben oder nur einen solchen, an 
dessen Taten und Zustand andere schuld 
waren, indem sie die richtige Erziehung 
verabsäumten. Der Mangel einer möglich 
gewesenen Erziehung hebt eben für den 
Jugendlichen die aus dem Erziehungs- 
mangel entspringende Strafwürdigkeit 
auf. Daher ist es kein Fehler, diese Frage 
zu prüfen, sondern eine primäre Forde- 
rung der Gerechtigkeit gegen sonst 
schuldlos leidende Menschen. Wenn Oet- 
ker dem Gedanken widerspricht, die Son- 
dergerichte ohne rechtsgelehrten Richter 
zu bilden, so ist ihm durchaus zuzustim- 
men. Soweit ein Gericht überhaupt Un- 
parteilichkeit und Rechtssicherheit ge- 
währleisten kann, tut dies ein Gericht von 
unabsetzbaren Berufsrichtern. Das ist 
allen Anfeindungen der Justiz zum Trotz 
eine unumstößliche Tatsache. Ebenso 
trifft Oetker das Richtige, wenn er den 
Plan befürwortet, daß unter den mitrich- 
tenden Schöffen stets ein Lehrer, Geist- 
licher, Fürsorger sich befinde. Leider 
scheint aber der preußische Landtag auf 
dem Standpunkte zu stehen, daß Volks- 
schullehrer — und das sind fürs J just die 
wichtigsten — nicht Schöffen werden sol- 
len. Da wird es denn nicht zu umgehen 
sein, gerade diese allerwichtigsten päda- 
gogischen Helfer vor wie nach auf dem 
Umwege der Fürsorgeausschüsse an der 
Rechtsprechung der J zu beteiligen. 
Richtig ist es weiter, wenn Oetker die 
  
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Erforschung der Persönlichkeit und Le- 
benslage der Jugendlichen durch z. B. den 
FA für wichtiger hält als die Gerichtsbe- 
setzung. Was aber nützt die gründlichste 
Erforschung, wenn das Gericht nicht das 
Recht hat, den Ergebnissen dieser Erfor- 
schung Rechnung zu tragen? Das kann 
es nur, wenn der Richter möglichst frei 
ist in der Wahl seiner Mittel, insbesondere 
nicht gezwungen ist, zu Strafe zu verurtei- 
len, wenn er glaubt, daß statt dessen eine 
versäumte Erziehung zu ersetzen ist. 
Vielfach wünscht man den Ausschluß 
der Öffentlichkeit für Verhandlungen 
gegen Jugendliche. Köhne, Löffler 
und Aschrott widersprechen dem mit 
Recht. Dagegen empfiehlt sich eine Ver- 
schärfung und Erleichterung der Sitzungs- 
polizei in dem Sinne, daß Personen, deren 
Anwesenheit nach dem Ermessen des 
Vorsitzenden dem Jugendlichen schädlich 
ist, ohne weitere Begründung aus 
dem Sitzungsraume ausgeschlossen wer- 
den können. 
Die Gesamtwürdigung des Strebens 
nach Reform des Jugendrechtes und nach 
J wird unbedingt zu einer Rechtfertigung 
dieser Reform führen müssen. Man darf 
aber die Wirkung solcher Maßnahmen 
gegenüber den Massenerscheinungen der 
Verwahrlosung und der aus ihr folgenden 
Kriminalität nicht überschätzen. Soziale 
Schäden heilt man nicht durch Strafrecht 
oder sonstige Repression. Wir aber be- 
fürworten die J eben nicht nur wegen 
ihrer Zweckmäßigkeit und wegen ihrer in 
manchen Fällen doch nachweisbaren Spe- 
zialerfolge, sondern fordern sie als ein 
Mittel zur Verwirklichung der Gerechtig- 
keit, einer höheren Gerechtigkeit, als sie 
bisher bei den gewöhnlichen Strafgerich- 
ten zu erreichen war. Die Gerechtigkeit 
heischt von uns, daß wir uns nicht damit 
begnügen, eine Straftat des Jugendlichen 
und seine Erkenntnisfähigkeit festzustel- 
len, sie heischt von uns, daß wir ein un- 
fertiges Kind nicht fortwerfen wegen 
einer Handlung, welche sittlich von an- 
deren, nicht von dem Kinde, verschul- 
det ist. 
Bärnreither Jugendfürsorge und Strafrecht in den 
U. 8. America, Leipzig 05, Duncker u. Humblot; Herr Das 
moderne amerikanische Besserungssystem, Stuttgart. Kohl- 
hammer; Hartmann Strafrechtspiiege in Amerika: 
Koehne Entwurf eines Reichsgesetzes betr Ahndung 
strafbarer Handlungen Jugendlicher, Berlin 08, Guttentag; 
Landsberg Der Fürsorgeausschuß und seine Beteiligung 
an der | ‚rafrechtepflege, JMSchr f. Posen O8 51; Roth- 
schild MSchrkrimPsych 08 623; Oetker Gerichtssaal 
78885; Aschrott Der Entwurf einer Strafprozeßordnung, 
Berlin 08, Guttentag: derselbe Reforn des Strafpro- 
zesses (Sammlung von Aufsätzen); Groß MSchrkrim
	        
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