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mer verschlossen bleibt. In einem weite-
ren Teile der transzendentalen Logik,
welchen Kant die transzendentale Dialek-
tik nennt, führt er den Nachweis, daß alle
die von seinen Vorgängern aus reiner Ver-
nunft aufgebauten, d. h. rationalen Theo-
rien über Seele, Weltganzes und Gott un-
haltbar sind, daß die rationale Psychologie
auf vier Paralogismen sich gründet, die
rationale Kosmologie sich in vier Antino-
mien verstrickt und die rationale Theo-
logie vergebens bemüht ist, auf ontolo-
gischem, kosmologischem und physiko-
theologischem Wege das Dasein Gottes
zu beweisen.
Auch die 1788 erschienene Kritik der
praktischen Vernunft sucht die apriori-
schen und aposteriorischen Elemente des
Bewußtseins genau zu scheiden, nur han-
delt es sich hier nicht mehr wie in der
Kritik der reinen Vernunft um die Be-
stimmungsgründe unseres Erkennens,
sondern um die apriorischen und aposte-
riorischen Bestimmungsgründe unseres
Handelns. Für aposteriorisch erklärt Kant
die empirischen Triebe der Lust und Un-
lust; als apriorisch und somit von Natur
an uns einwohnend bezeichnet er das Sit-
tengesetz, für welches er die Formel auf-
stellt: „Handle so, daß die Maxime
deines Willens zugleich als Prinzip einer
allgemeinen Gesetzgebung gelten könne, ‘‘
mit anderen Worten: handle nicht nach
empirischen Trieben als menschliches In-
dividuum, sondern überindividuell, handle,
wie der handeln würde, den wir uns als
allgemeinen Gesetzgeber der Welt, als
Gott vorstellen. Alles Handeln beruht auf‘
inneren Antrieben oder, wie Kant sagt,
auf Imperativen; diese Imperative sind hy-
pothetisch, wenn sie unser eigenes Wohl-
befinden als letzten Zweck im Auge ha-
ben ; hingegen fordert das Sittengesetz un-
bedingten, nicht von Erwägungen unseres
eigenen Wohles und Wehes geleiteten
Gehorsam, und heißt daher: der katego-
rische Imperativ. Aus der Tatsache des
kategorischen Imperativs folgt die Gewiß-
heit der Freiheit (du kannst, denn du
sollst, wie Schiller dies formuliert hat);
aus der nur im unendlichen Fortschritte
erreichbaren Verwirklichung des Sittenge-
setzes leitet Kant das Postulat der Un-
sterblichkeit her; auf die Forderung, daß
die Tugend, wenn auch nicht in diesem
Leben, vergolten werden müsse, gründet
er das Postulat Gottes. — In der „Religion
Kant.
innerhalb der Grenzen der bloßen Ver-
nunft‘‘ versucht Kant eine weitgehende
Umdeutung der christlichen Dogmen von
der Erbsünde, Wiedergeburt, Rechtferti-
gung und stellvertretenden Genugtuung
im Sinne seiner Moraltheorie. In bezug auf
den religiösen Kultus spricht er sich aus,
wie folgt: „Ich nehme erstlich folgenden
Satz als einen keines Beweises bedürfen-
den Grundsatz an: Alles, was außer dem
guten Lebenswandel der Mensch noch tun
zu können vermeint, um Gott wohlgefällig
zu werden, ist bloßer Religionswahn und
Afterdienst Gottes.‘ — Seine Lehren über
Recht und Staat entwickelt Kant in dem
ersten Teile seiner Metaphysik der Sitten,
deren zweiter Teil die Tugendlehre ent-
hält. Die Rechtslehre fordert Legalität,
Übereinstimmung des Handelns mit dem
Gesetze, die Tugendichre Moralität, d. h.
ebendieselbe Übereinstimmung nicht aus
Furcht oder Hoffnung, sondern aus Ach-
tung vor dem in uns liegenden Sittenge-
setze. Die Rechtslehre hat es somit nicht
mit den inneren Triebfedern, sondern nur
mit der äußeren Form unseres Handelns
zu tun; in diesem Sinne definiert Kant das
Recht als „den Inbegriff der Bedingungen,
unter denen die Willkür des einen mit der
Willkür des anderen nach einem allgemei-
nen Gesetze der Freiheit zusammen ver-
einigt werden kann“. Der rechtliche
Zwang ist nur die Beseitigung der Hin-
dernisse, welche die Willkür einzelner der
allgemeinen Freiheit entgegenstellt. So-
weit sich jene Bedingungen aus der Natur
eines freien Wesens unmittelbar ergeben,
bilden sie das Privatrecht, soweit sie sich
erst aus der Vereinigung vieler Menschen
zu einem Gemeinwesen ergeben, das öf-
fentliche Recht. Das Privatrecht besteht in
der Freiheit jedes einzelnen, soweit siesich
mit der aller anderen zusammen verträgt.
Diese Freiheit betätigt sich nach außen
hin als Besitz. Je nachdem der Gegen-
stand des Besitzes eine körperliche Sache
oder die Leistung eines anderen oder die
andere Person selbst ist, wird das Recht
auf den Besitz eingeteilt in Sachenrecht,
persönliches Recht und dinglich-persön-
liches Recht. 1. Das Sachenrecht beruht
ursprünglich auf erster Besitzergreifung,
ist jedoch durch diese nur ein provisori-
sches und wird zum peremptorischen erst
dadurch, daß die bürgerliche Gesellschaft
den ausschließlichen Besitz an der Sache
anerkennt. 2. Das persönliche Recht be-