Anrechnung der Untersuchungshaft — Anschlagwesen. 91
Ob die erlittene Untersuchungshaft ganz
oder teilweise angerechnet werden soll,
entscheidet das Ermessen des Gerichtes.
Bei der Anrechnung auf eine erkannte
Zuchthausstrafe ist der Richter an die Um-
rechnung des S 21 nicht gebunden. Es
entspricht jedoch dem Gerichtsgebrauche,
auf die Zuchthausstrafe nur einen Teil der
tatsächlich erlittenen Untersuchungshaft
anzurechnen. Die Anrechnung kann auch
derart erfolgen, daß der noch zu ver-
büßende Teil der Strafe geringer ist als
das gesetzlich vorgeschriebene Strafmi-
nimum. (S 14 Abs 2. Der Mindestbetrag
der Zuchthausstrafe ist ein Jahr.) In die-
sem Falle kann unter das Strafminimum
erkannt werden, da die erlittene und an-
gerechnete Untersuchungshaft der ver-
büßten Strafe gleichsteht.
Bezieht sich das Urteil auf mehrere
strafbare Handlungen, so kann die Unter-
suchungshaft auf die Gesamtstrafe ange-
rechnet werden, aber auch auf die Einzel-
strafen, und zwar selbst dann, wenn der
Angeklagte wegen derjenigen Tat, wegen
der die Untersuchungshaft verhängt
wurde, freigesprochen wird. Erforder-
lich ist jedoch, daß das Verfahren, in wel-
chem die Untersuchungshaft verfügt
wurde, auch diejenigen strafbaren Hand-
lungen umfaßte, wegen deren die Verur-
teilung erfolgte, RG 30 182.
Die Anrechnung ist ausgeschlossen,
wenn während der Untersuchungshaft
mit Genehmigung des Gerichts eine Frei-
heitsstrafe verbüßt wird.
Die Frage der Anrechnung der Unter-
suchungshaft gehört zur Straffrage, sie ist
daher nicht Gegenstand einer Frage an die
Geschworenen, C 293, 262.
Loewe-Hellweg Kommentar zur C, 12. Aufl, 1907,
und Olshausen-Zweigert Kommentar zum 8, 8. Aufl,
1907; Dalcke Strafrecht und Strafprozeß, 11. Aufl., 1908.
Paick.
Anrüchigkeit s. Ehre.
Anschlagwesen ist ein Teil des Preß-
wesens. Die gesetzliche Regelung betrifft
einerseits den Gewerbebetrieb des Unter-
nehmens, andererseits den Inhalt der An-
schläge. Im preußischen Preßgesetz vom
12. Mai 1851 ist auch das A(nschlagwesen)
behandelt, bei der Beratung des Reichs-
PrG konnte aber eine Einigung zwischen
der Regierung und dem Reichstage nicht
erzielt werden, weshalb beschlossen
wurde, die Regelung der Landesgesetz-
gebung zu überlassen; im Reichs-PrG 30
Abs 2 wurde bestimmt, daß das Recht der
Landesgesetzgebung , Vorschriften über
das öffentliche Anschlagen, Anheften,
Ausstellen, sowie die Öffentliche, unent-
geltliche Verbreitung von Bekanntmach-
ungen, Plakaten und Aufrufen zu erlassen,
durch das Reichs-PrG nicht berührt wird.
Ferner wurde im Reichs-PrG 5 bestimmt,
daß die nicht gewerbsmäßige öffentliche
Verbreitung von Druckschriften durch die
Ortspolizeibehörde denjenigen Personen
verboten werden kann, welchen nach Gw
57 Nr. 1, 2, 4; 57a, 57b Nr. 1 und 2 ein
Legitimationsschein versagt werden darf,
und daß Zuwiderhandlungen gegen ein
solches Verbot nach Gw 148 strafbar sind.
Hiernach untersteht die Preßpolizei über
das A der Landesgesetzgebung, wozu
noch die Bestimmung des Reichs-PrG 5
kommt, während der Gewerbebetrieb
durch die Gw, und zwar deren $ 43, ge-
regelt ist. Das A genießt hiernach nicht
die durch das Reichs-PrG gewährleistete
Preßfreiheit; gegen die Anzeigen sind
polizeiliche Maßregeln nach Maßgabe der
Landesgesetze zulässig, OVG 31 492;
Ren 5 286; GoltdArch 44 182; RGRspr
668.
In Preußen sind Polizeiverordnungen
rechtsgültig, welche das Anheften von
Straßenanschlägen und das Aufstellen
oder Anbringen der für sie bestimmten
Vorrichtungen von der Erlaubnis der Orts-
polizeibehörde abhängig machen, Regers
E 24 7, oder welche es verbieten, öffent-
liche Anzeigen auf öffentlichen Straßen
und Plätzen anders als an den zu diesem
Zwecke bestimmten Tafeln, Säulen usw
anzubringen, GoltdArch 44 182, oder
welche nur Grundbesitzern oder Mietern
gestatten, Anzeigen, welche lediglich ihre
eigenen Interessen betreffen, auf ihren
Grundstücken oder in ihren Mietsräumen
anzubringen, OVG 39 410; PrVBi 30 71;
vgl auch für Hausgiebel PrVBi 30 273 und
für Geschäftswagen PrVBi 30 24, oder
welche vorschreiben, daß zur Befestigung
und Wiederabnahme von Mitteilungen an
den öffentlichen Anschlagtafeln nur die
von der Gemeinde ermächtigten Personen
befugt sind, Das Recht 13 47. Das Um-
hertragen von Reklametafeln durch
Dienstmänner auf offener Straße bedarf
nicht der polizeilichen Erlaubnis, kann
aber durch polizeiliche Verordnung gere-
gelt werden KGJ 20 C 85. Die früheren
Entscheidungen, KG)J 21 C 58; 26 C 19;
OVG 39 415, wonach eine Polizeiverord-