Full text: Fünfzig Jahre aus Preußens und Deutschlands Geschichte.

Meisterjahre. 97 
so ungünstige Meinung des Volkes mehr und mehr in das Gegenteil 
umschlug. 
Als der Prinz von Preußen während der Krankheit seines königlichen 
Bruders zuerst als dessen Stellvertreter und dann, trotz aller Gegenbestrebungen 
der herrschenden Partei, als Regent an die Spitze der Regierung getreten war, 
hofften alle Patrioten von ihm die Anbahnung der so lange verzögerten Re- 
formen, sowie die Lösung der Deutschen Frage bewirkt zu sehen. In der That 
erwählte der Prinz-Regent, nachdem er am 26. Oktober 1858 den Eid auf die 
Verfafsung geleistet, freisinnige Ratgeber zu Ministern. 
In vereinigter Sitzung der beiden Häuser des Landtages erklärte er, daß 
er „die Verfassung des Königreichs fest und unverbrüchlich halten und in Über- 
einstimmung mit ihr und den Gesetzen regieren“ wolle. Das preußische Volk 
begrüßte mit Vertrauen das neue Staatsoberhaupt, von dem man wußte, daß 
es praktischen Verstand bei militärischer Geradheit und einen klaren Blick für 
die thatsächlichen Verhältnisse auf den Thron mitbrachte. 
Und daß diese guten Hoffnungen bald zur Verwirklichung kommen sollten, 
ließ sich aus den Regierungsgrundsätzen des Prinz-Regenten entnehmen, die 
bald nachher bekannt wurden. 
„Die Armee hat Preußens Größe geschaffen und dessen Wachstum er- 
kämpft“, so hieß es in einem Erlaß vom 8. November, „ihre Vernachlässigung 
hat eine Katastrophe über sie und dadurch über den Staat gebracht, die glor- 
reich verwischt worden ist durch zeitgemäße Reorganisation des Heeres, welche 
die Siege des Befreiungskrieges bezeichneten. Eine vierzigjährige Erfahrung 
und zwei kurze Kriegsepisoden haben uns indes jetzt aufmerksam gemacht, daß 
manches, was sich nicht bewährt hat, zu Anderungen Veranlassung geben wird. 
Dazu gehören ruhige politische Zustände und — Geld, und es wäre ein schwer 
zu bestrafender Fehler, wollte man mit einer wohlfeilen Heeresverfassung 
prangen, die deshalb im Momente der Entscheidung den Erwartungen 
nicht entspräche. Preußens Heer muß mächtig und angesehen sein, 
um, wenn es gilt, ein schwerwiegendes politisches Gewicht in die 
Wagschale legen zu können ' — „Daß mit allem Ernste den Bestrebungen 
entgegengetreten werden müsse, die darauf abzielen, die Religion zum Deck- 
mantel politischer Bestrebungen zu machen“ — „daß Preußen in Deutschland 
moralische Eroberungen zu machen habe“ — „daß die Welt wissen müsse, wie 
Preußen überall das Recht zu schützen bereit sei“, ward an andern Stellen 
hervorgehoben. 
Der Prinz erblickte in einer zeitgemäßen Vervollständigung der Wehrkraft 
des Landes seine nächste Hauptaufgabe, eine Auffassung, in welcher ihn der 
Verlauf der Ereignisse im Jahre 1859 noch bestärkte. Infolgedessen ward 
dem Landtag 1860 eine Mehrkostenforderung für die neue Heeresreorganisation 
vorgelegt. Diese erregte aber den Widerspruch der Mehrheit der Volksvertretung, 
welche ihrerseits erst Beweise einer thatkräftigen, erfolgreichen deutschen Politik 
sehen wollte, ehe sie die Ausgaben für die Heeresorganisation zu bewilligen 
gedachte. Damit begann der langjährige sogenannte „Konflikt“ zwischen der 
Krone und der Volksvertretung, der sich mehr und mehr verschärfte. Wohl. 
Vaterl. Ehrenbuch. II. 7
	        
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