Full text: Fünfzig Jahre aus Preußens und Deutschlands Geschichte.

102 Wilhelm der Siegreiche. 
Noch manches frohe Ereignis durfte der greise Kaiser an der Seite seiner 
Gemahlin, der Kaiserin Augusta, welche die hohe Auffassung ihrer Stellung 
besonders in Werken der Liebe und Barmherzigkeit unausgesetzt bethätigte, er- 
leben. Die Silberhochzeit des damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm mit 
seiner Gemahlin Viktoria (1883), die Vermählung des ältesten Sohnes des 
Kronprinzen, des Prinzen Wilhelm, mit der Prinzessin Auguste Viktoria von 
Schleswig-Holstein-Augustenburg (1881), die goldene Hochzeit des Kaiserpaares 
selbst (1879) und endlich der 90jährige Geburtstag des Kaisers (1887), es 
waren freudige Familienfeste, welche das ganze Volk gemeinsam mit dem 
Herrscherhause feierte, dem begeisterte Huldigungen bei diesen Anlässen dar- 
gebracht wurden. Um so schmerzlicher war dann aber auch die Trauer über 
die schweren Ereignisse, welche das verhängnisvolle Jahr 1888 brachte. Der 
Kronprinz Friedrich Wilhelm war an einem tückischen, unheilbaren Leiden er- 
krankt, und während er Linderung suchend fern an Italiens Küste in San 
Remo weilte, raffte am 9. März 1888 der Tod den greisen Kaiser Wilhelm 
dahin, dessen letzte Lebenstage durch das Bewußtsein des grausamen Geschicks, 
welches seinem geliebten Sohne, dem allverehrten Kronprinzen, bevorstand, 
tiefschmerzlich getrübt worden waren. Und der Kronprinz selbst? Er zeigte 
sich als echter Hohenzoller. Nicht achtend des Leidens, das unaufhaltsam an 
seiner Lebenskraft zehrte, kehrte er aus der linden Frühlingsluft Italiens bei 
eisigem Schneesturm dorthin zurück, wohin die Pflicht ihn rief, um bis zum 
letzten Atemzuge treu und gewissenhaft dem Wohle des Volkes seine Kraft zu 
widmen. Mit goldenen Lettern sind die 99 Tage der Regierung Kaiser 
Friedrichs III. auf den Blättern der Geschichte verzeichnet — auf Blättern, 
die leider zugleich ein Trauerrand umgibt. Als aus dem Frühling Sommer 
geworden war, hatte der edle Dulder überwunden — am 15. Juni 1888 war 
er heimgegangen zu seinen Bätern. 
Zweimal im Laufe weniger Monden hatte Deutschland seinen Kaiser, 
Preußen den Landesvater verloren: den einen nach einem ereignisvollen und 
thatenreichen Leben im Silberhaar des neunzigjährigen Greises, den andern in 
der Fülle der Manneskraft, von deren voller Entfaltung auf dem Throne Land 
und Volk das Höchste und Schönste erwarteten. Aber ob auch zweifache Trauer 
allüberall in den deutschen Landen eingekehrt war, ein Trost war doch geblieben. 
Der Thron der Hohenzollern war nicht verwaist: kraftvoll vermochte der Enkel 
Kaiser Wilhelms, der Sohn Kaiser Friedrichs, unser Kaiser Wilhelm II. die 
Zügel der Regierung zu ergreifen, in deren Führung er zugleich den kraftvollen 
soldatischen Sinn des Großvaters und das hohe edle Streben des Vaters be- 
kundet. So blicken Deutschland und Preußen vertrauensvoll in die Zukunft. 
Was dieselbe auch in ihrem Schoße bergen mag, wir alle haben die begründete 
Zuversicht, daß die Geschicke des Reiches und des Landes von einem würdigen Nach- 
folger Wilhelms I. und Friedrichs III. zum Guten werden geleitet werden.
	        
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