114 Die Zeit der Militärreorganisation.
Frühjahr das Exerzieren der Kompanie und dann des Bataillons. Von Ende
Mai und Anfang Juni ab wird Felddienst geübt, dann Ende August im
Regiment, demnächst in der Brigade exerziert und somit nach und nach zur
Bewegung größerer Truppenkörper übergegangen. Das damit in Verbindung
gebrachte sogenannte Gefechtsexerzieren lehrt die Truppen, sich zu einem
bestimmten Gesechtszweck und unter Berücksichtigung der Ortlichkeit zu bewegen.
Während die Infanterie in der geschilderten Weise sich vorbereitet, üben Kavallerie
und Artillerie auf gleich zweckdienliche Art, und die Herbstmanöver lehren dann
den Gebrauch der verbundenen Waffen, aus denen sich ein Heer zusammensetzt.
Sie bieten dem Soldaten das Bild des Krieges und lehren den Führer, die
verschiedenen Waffen ihrer Eigentümlichkeit nach zu gebrauchen, auch nach Maß-
gabe des Verfahrens des ihm gegenüberstehenden Gegners Entschlüsse zu fassen,
kurz, unter allen Einflüssen, die der wirkliche Krieg auf Führer und Soldat
einwirken läßt, sachgemäß handeln.
Es steht fest, daß die Herbstmanöver des Heeres, deren Wert und Zweck
wir weiter unten an der Hand eines interessanten, von Major von der Goltz
gehaltenen Vortrages näher betrachten wollen, als Schlußstein der jährlichen
Ausbildung nicht bloß die Erfolge im Felde, sondern auch die Kenntnis der
Armeeeinrichtungen im eignen Volke gefördert haben. Tausende von Zu-
schauern begleiten die kriegerischen Vorgänge in der Nähe ihrer Heimat. Sie
sehein den Soldaten im Verkehr mit seinen Vorgesetzten, und manch falsches
Bild von der Behandlung des Soldaten wird berichtigt. Die innige Verbindung,
in welcher Heer und Volk in Preußen und Deutschland stehen, befestigt sich
durch die Herbstmanöver, wenn der Soldat, wochenlang dem Kasernenleben
entzogen, bei dem Bürger und Landmann im Quartier liegt. Meist hat der
Quartiergeber selbst gedient; groß ist dann die Freude, wenn sein altes Regi-
ment, sein Bataillon oder gar die Kompanie, in welcher er gestanden hat, im
Heimatsorte liegt. Es gehört keineswegs zu den Seltenheiten, daß während
des Manövers oder unmittelbar nachher sich Freiwillige melden. „Warum
wollen Sie gerade bei mir eintreten?" fragt der Regimentskommandeur. „Das
Regiment hat beim Manöver in meinem Orte im Quartier gelegen und da
hat es mir gut gefallen“, oder auch: „Mein Vater hat schon in demselben
Regiment gestanden“, lautet häufig die Antwort. Unleugbar ist die Militär-
pflicht die schwerste Last, welche das Vaterland seinen Söhnen auferlegt. Dafür
gestattet man den Freiwilligen die Wahl des Regiments, in dem sie dienen
wollen. Da kommt es denn häufig vor, daß einzelne Familien für den Sohn
immer wieder dasselbe Regiment wählen, in welchem der Vater und der Groß-
vater gedient haben.
Mit dem lebhaftesten Interesse und zumeist auch, wie bei dem „Volke in
Waffen“ nicht anders zu erwarten, mit dem erforderlichen Verständnis folgen
die gewöhnlich überaus zahlreichen Zuschauer aus allen Bevölkerungskreisen
des ÜUbungsbezirks den Vorgängen des Manövergefechts — ein Beweis, wie
tief durch die langjährige Schulung der militärische Geist in das Volk einge-
drungen ist. Die Wechselbeziehungen zwischen dem bürgerlichen Leben und
dem Leben im Heere sind die innigsten. Der Kaufmann, der Landwirt, die