118 Die Zeit der Militärreorganisation.
haber vor Beginn der Übungen die von beiden Seiten erlassenen Befehle ge—
meldet, so daß noch Zeit und Gelegenheit bleibt, Mißverständnisse aufzuklären
und Abänderungen, wie z. B. in der Aufbruchszeit, vorzunehmen.
Wird das Eingreifen des Leitenden in diesem Sinne nötig, so bietet dem-
selben meist der Hinweis auf das angenommene Verhältnis der Hauptarmee
oder die Mitteilung neuer Nachrichten über den Feind die Handhabe, um die
ausgegebenen Befehle durch die Führer selbst abändern zu lassen. Ein solcher
Hergang entspricht auch den Verhältnissen des Krieges vollkommen, wo häufig
ganz unerwartet, z. B. in der Nacht, Meldungen über den Gegner oder Befehle
von höherer Stelle eingehen, welche nötigen, die für den folgenden Tag ge-
troffenen Verfügungen umzuwerfen oder abzuändern. Der Leitende bedarf
sonach unter allen Umständen bedeutender Erfahrung, Gewandtheit und Phan-
tasie, um die Manöver so zu gestalten, daß die Wirklichkeit annähernd treu zur
Darstellung gelangt.
Durch die Manöver sollen besonders auch die Unterbefehlshaber geübt
werden, sich in die Verhältnisse des Kampfes hineinzudenken und in schnell
wechselnden Auftritten selbständig und zweckentsprechend zu handeln. Es gilt,
bei Bewegungen im Feuer die Waffenwirkung in Rechnung zu bringen, die
Bodenform zur Deckung zu benutzen, gegen plötzlich dargebotene Blößen des
Gegners einen schnellen Vorstoß zu führen, geschickt dem Feinde sich zu entziehen,
kurz, mannigfache Erfahrungen zu sammeln und anzuwenden, welche den Vor-
gängen während des wirklichen Gefechts wenigstens annähernd entsprechen.
Sehr schwierig ist es, die Waffenwirkung der Artillerie zur Anschauung
zu bringen. Eine Batterie z. B. feuert auf eine bis zu 2000 Schritt entfernte
Truppe, ohne daß diese in ihrer Formation oder Bewegung die geringste Notiz
davon nimmt. Um den Schiedsrichtern einigen Anhalt zu geben, hat man
neuerdings versucht, das jedesmal gewählte Ziel durch eine farbige Tafel an-
zugeben, welche in der Batterie aufgerichtet wird. Eine rote Tafel bedeutet:
die Batterie zielt auf Infanterie; schwarz und weiß auf Kavallerie. Fehlt die
Tafel, so feuert Artillerie gegeneinander. Die Truppe ist geneigt, die Feuer-
wirkung, welche sie nicht fühlt, zu ignorieren. Die Schiedsrichter haben daher
in dieser Beziehung erhöhte Aufmerksamkeit und strengere Sorgfalt zu üben.
Heute muß besonders die leichte Reiterei ihr Bestes leisten, um den Auf-
enthalt und die Stärke des gegenüberstehenden Feindes zu erkennen. Ein gut
eingerichtetes Auskundschaftungswesen ist unerläßlich. Allerdings sind die An-
gaben der Spione für die unmittelbar bevorstehenden kriegerischen Handlungen
nur selten zu verwerten, weil, abgesehen von ihrer Unzuverlässigkeit, die Nach-
richten häufig veraltet eintreffen werden, sofern die Bewegungen der Heere in
der Regel rasch vor sich gehen. Auf diesen Kriegebehelf zu verzichten, ist jedoch
nicht ratsam. Doch vermag ein gut organisierter Nachrichtenverkehr, es ver-
mögen selbst Zeitungsberichte, Briefe und Depeschen manches zu ersetzen und
eine bedeutende Wichtigkeit zu erlangen. Stets wird die planmäßige Samm-
lung, Vergleichung und Verarbeitung aller Arten von Nachrichten für Be-
nutzung der Umstände am förderlichsten bleiben.