Der Feldherr. 129
alten und neuen Forts und Festungen würden vermutlich mit Feldverschanzungen
geschlossen werden; dann gestaltet sich der Kampf der Armeen und der Kampf
um jene Bollwerke zu ganz ungeheuerlichen Positionskämpfen. Welches auch
der Ausgang künftiger Schlachttage zwischen uns und unsern Nachbarn sein möge
— der Krieg würde aller Wahrscheinlichkeit nach viel von der Beweglichkeit ver-
lieren, die ihm noch 1870 eigen war. An einen ähnlich reißenden Verlauf
wäre kaum zu denken.
Lehrt nun auch der Hergang und der Verlauf einer modernen Schlacht,
daß der Einfluß des Feldherrn auf den Kampf gegenwärtig ein geringerer
ist, so darf doch nicht angenommen werden, daß das Material, worauf
es ankommt, daß das kämpfende Heer ein geringeres sein dürfe, insofern die
Massen die Entscheidung bringen; es darf nicht zum zügellosen Element herab-
sinken. Auch heute gilt, was immer gegolten hat: daß die Disziplin den Wert
des Soldaten bestimmt, daß sie das Heer zusammenhält, ebenso wie die
gleichmäßige Ausbildung der Führer allein Gewähr leistet für ein einheit-
liches, Erfolg verheißendes Handeln des Feldherrn.
Durch unausgesetzte ÜUbungen und Pflege des militärischen Geistes ist, nach
dem ausdrücklichen, gewiß nicht von Wohlwollen oder Vorurteil eingegebenen
Ausspruche eines französischen Fachmannes „die deutsche Armee ein aus-
gezeichnetes, ein herrliches Heer geworden."
Während sich die französischen Befehlshaber häufig damit begnügen,
die Ergebnisse der Ausbildung nach Rapporten zu beurteilen, anstatt täglich
selbst nachzusehen, was getrieben wird, liegt die Stärke des deutschen Heeres,
nach der eben angezogenen sachverständigen Beurteilung, mit in der Bethätigung
des Wahrwortes: „Selber ist der Mann“, vor allem aber in dem echt mili-
tärischen Geiste, der sich in allen Abstufungen und unter jeder Form offenbart.
„Die Deutschen haben Vertrauen in ihre Generale, und diese wiederum haben
die Gewißheit, daß ihre Befehle innerhalb der Grenzen des Möglichen mit der
größten Energie zur Ausführung kommen. So ist die deutsche Armee ein
unvergleichliches Werkzeug.“ Das Gleichgewicht könnte zu gunsten der
Franzosen nur dann wiederhergestellt werden, wenn es ihnen gelänge, „im
Hinblick auf militärische Erziehung und Ausbildung die gleichen Fortschritte
zu machen, welche sie in bezug auf ihre materielle Wiederaufrichtung zuwege
gebracht haben.“
Nur die unausgesetzte Pflege der Disziplin, zum Zwecke der einheitlichen
Mitwirkung aller, wenn es die Bezwingung des Feindes gilt, kann dereinst uns
den Sieg verleihen. Und wir werden uns aller Wahrscheinlichkeit nach noch-
mals mit dem alten Gegner messen müssen. Deswegen soll die Erziehung des
jungen Soldaten im Frieden vornehmlich der Hingebung an die Aufgaben des
Kriegerstandes gelten, eingedenk dessen hoher Stellung und im Hinblick auf unfre
nationalen Pflichten, die in der Sicherung unfrer Zukunft gipfeln.
Ver Feldherr. Je schwieriger in der Folgezeit die Lösung der Aufgaben
sein wird, die dem Feldherrn der Zukunft zufallen, und je eigenartiger sich die
Kriegführung noch gestalten wird, um so gewisser ist's, daß dann erst recht ein
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