130 Die Zeit der Militärreorganisation.
großes Gefühl die außerordentlichen Kräfte des Feldherrn beleben muß — sei
es der Ehrgeiz, wie in Cäsar, der Haß des Feindes, wie in Hannibal, der Stolz,
den sogar ein glorreicher Untergang gewähren kann, womit sich selbst ein
Friedrich II. vertraut gemacht hatte. Nur mit diesem Vertrauen im Herzen
kann der Feldherr der Größe der seiner harrenden Aufgaben gewachsen sein.
„Bei ihm summieren sich alle Zweifel, alle Besorgnisse seiner Unterführer, bei
ihm sucht jedermann Rat, von ihm verlangt jeder die Hilfe. An ihn hängen
sich alle Blicke, von ihm glaubt jeder das Schicksal des Heeres, des Vaterlandes.
abhängig, und über alles, was er thnt, berichtet die Geschichte nachkommenden
Geschlechtern, seine Handlungen unterliegen der Kritik von Millionen, zumal
heute, wo die Völker fast samt und sonders ans Waffentragen gewöhnt sind.
Wer dem hohen Berufe des Feldherrn entgegengeht, halte sich des großen
Friedrich Worte gegenwärtig: „Iöch kenne den Wert der Ruhe, die Annehm-
lichkeit der Gesellschaft, die Freuden des Lebens; auch ich wünsche glück-
lich zu sein, wie irgend jemand. So sehr ich aber diese Güter begehre, so
wenig mag ich sie durch die Niederträchtigkeit und Ehrlosigkeit erkaufen. Die
Philosophie lehrt uns, unfre Pflicht zu thun, unserm Vaterlande selbst
mit unserm Blute treu zu dienen, ihm unfre Ruhe, ja unser ganzes Dasein
aufzuopfern.“
Sieger im Streit werden künftig sicherer denn je zuvor die Völker bleiben,
in denen sich das Pflichtgefühl als Beweggrund der Thaten erhält, deren höhere
Schichten vor allem nicht das Streben nach idealen Zielen aus dem Auge ver-
lieren. Da erzeugen sich Mut, Ausdauer, Opferwilligkeit, Vaterlandsliebe
und Selbstvertrauen immer neus; sie wachsen, gezeitigt durch die wärmenden
Strahlen, welche dem Beispiel der alten Generation entströmen, mit der
jungen empor.
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Die Mobilmachung im Jahre 1864. In vorstehendem haben wir einen
Blick geworfen auf die Entwickelung der preußischen Heeresverfassung und die
Gestaltung der Kriegführung und Heeresleitung im Zusammenhang mit den
Wandlungen, welche die neuen Waffen seit Durchführung der preußischen
Militärreorganisation hervorgerufen haben. Wir haben unsre jungen Leser
Zeugen sein lassen von der Übergabe neuer Fahnen an die neu errichteten
Regimenter. Dieser feierliche Akt erlangte dadurch eine allgemeinere und tiefere
Bedentung, daß das Volk den König Wilhelm zum erstenmal in der Mitte
der Abgesandten seines verstärkten, wohlbewaffneten und trefflich geschulten
Kriegsheeres sah. Vertrauend blickte man damals zu dem Fürsten auf, der
durch die That Zeugnis abgelegt hatte von seiner ehrenfesten, echt deutschen
Gesinnung und seinem ritterlichen Mut; man erwartete, daß mit der Thron-
besteigung dieses Fürsten Preußen aus der zuwartenden Rolle, die es zum
Frohlocken seiner Feinde nur zu lange bewahrt hatte, heraustreten werde. Das
königliche Wort: „Die Welt soll wissen, daß Preußen überall das Recht zu
schützen weiß!“ erfüllte das Herz jedes Preußen wieder mit Stolz und Selbst-
gefühl, aber es weckte zugleich die bange Vorahnung, daß Preußens Weg, wie