Der Fürstentag zu Frankfurt am Main. 147
eröffnet, seine kaum erst verlorene Stellung in Italien, wo ja Venedig sich
noch in seiner Gewalt befand, wiederzugewinnen! Zu solchem Zwecke war in
den österreichischerseits eingebrachten Entwurf einer Bundesreform auch darüber
eine Bestimmung aufgenommen worden, daß die Frage der Beteiligung des
Bundes an einem Kriege zwischen einem Bundesstaate mit zugleich außer-
deutschen Besitzungen und einer auswärtigen Macht durch einfache Stimmen-
mehrheit des Bundesrates entschieden werden sollte. Im Bundesrate sollten
künftighin hierüber einundzwanzig Stimmen den Ausschlag geben, von welchen
Osterreich und Preußen über je drei verfügten. Die Mehrheit der übrigen
fünfzehn auf seine Seite zu bringen, konnte Osterreich bei seinen näheren Be-
ziehungen zu den größeren Mittel= und Kleinstaaten Deutschlands durchaus
nicht schwer fallen.
Darauf zielte also das neue österreichische Reformprojekt ab, durch
welches Preußen Gefahr lief, mittels Uberstimmung zu einem Vasallen Oster-
reichs herabzusinken. Osterreichs Sonderinteressen hätten durch Zuwendung
der gesamten Kräfte Deutschlands allerdings einen festeren Stützpunkt ge-
wonnen. Auf solche Weise sich an die Spitze der deutschen Bewegung stellen
zu wollen, hätte nichts andres geheißen, als das kaum beseitigte Beustsche
„Delegiertenprojekt“, nur mit bestimmter habsburgischer Spitze, von neuem
aufleben zu lassen.
Der Augenblick, Preußen in eine falsche Stellung zu bringen, war nicht
ungünstig gewählt. Man hielt die preußische Regierung wegen ihres Konfliktes
mit der Kammer und dem Volke für äußerst bedrängt. Angesichts der immer
schwieriger gewordenen Lage derselben gegenüber der öffentlichen Meinung
von fast ganz Nord= und Süddeutschland mochte es Osterreich allerdings für
möglich und zeitgemäß halten, die „deutsche Frage“ mit einem kühnen Griffe
zu seinen gunsten zu lösen.
Eine weitere günstige Handhabe, Preußen ins Gedränge zu bringen, bot
sich in dem Verhalten der Vertretungskörper mehrerer Mittel= und Klein-
staaten Deutschlands, welche zur Beratung über die Lösung der alle Gemüter
erregenden großen Frage mit Abgeordneten der preußischen Zweiten Kammer
zusammengekommen waren, wobei der immer stärker sich geltend machenden
liberalen Strömung beredter Ausdruck verliehen wurde.
Der Fürstentag zu Frankfurt am Main. Nach Vollendung seiner Kur in
Karlsbad war König Wilhelm am 18. Juli 1862 in Gastein eingetroffen.
Dorthin begab sich auch Kaiser Franz Joseph und händigte, „in traulichem
Zwiegespräch“, dem Könige eine „Denkschrift über die Notwendigkeit einer
Reform der deutschen Bundesverfassung“ ein, die Einladung hinzufügend, der
König möge einem in Frankfurt am 16. August abzuhaltenden „Kongresse
sämtlicher deutscher Fürsten“ beiwohnen. Es war unzweifelhaft: der Kaiser
und eine überwiegende Anzahl deutscher Fürsten standen im Begriff, sich zu
einem neuen Bunde zu vereinigen. Doch hatten die Verbündeten die Rechnung
ohne den Wirt gemacht. Es würde nicht erst einer Unterredung des Königs
mit Bismarck bedurft haben, welcher seinem Monarchen ins Bad gefolgt war.
Aber der letztere wußte den Rat des Staatsmannes zu würdigen, der erst
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