150 Fürst Otto von Bismarck-Schönhausen, der erste deutsche Reichskanzler.
die polnischen Aufständischen vertragsgemäß nicht auf gleichem Fuße mit den
Russen behandelt werden sollten. Es wurde von den Polenfreunden gefordert,
ein gleiches Verfahren wie gegen die Russen auch gegen die Polen in An—
wendung zu bringen; man bedachte auf dieser Seite nicht, daß, falls es den
russischen Polen gelang, sich frei zu machen, der Brand sich voraussichtlich
auch alsbald nach der preußischen Provinz Posen verbreitet hätte. Dem hatte
die preußische Mobilmachung wirksam vorgebeugt. Aber abgesehen davon
gehörte ein gutes Einvernehmen zwischen Preußen und Rußland zum Pro-
gramm Bismarcks, weil er ein solches für Fälle, die er kommen sah, als
wünschenswert erachtete. Bismarck hatte in Frankfurt und in Paris die Netze
ausbreiten sehen, welche die Politik mißgünstiger Kabinette in Bereitschaft
hielt, um das zu thatkräftiger Selbständigkeit sich aufraffende Preußen von
neuem einzuengen; er wünschte nicht, daß Rußland seine Bemühungen
im Interesse unfres Vaterlandes thatsächlich unterstützte, aber er erwartete
freundnachbarliches Verhalten als Folge der russischen Freundschaft.
Nachdem bei der Neuwahl die Fortschrittsmänner in dem für den Novem-
ber 1863 einberufenen preußischen Landtage wieder die Oberhand erlangt
hatten, war kein Absehen, wie der langjährige Streit enden sollte. Fast pro-
phetisch klingt es, was der König damals in der Thronrede sagte: „Wir
stehen in einer bewegten Zeit, vielleicht an der Schwelle einer
bewegten Zukunft!"
Und mahnend fügte er hinzu: „Gemeinsam haben wir für die Ehre und
das Wohl des Vaterlandes zu wirken. Dieser Aufgabe sind meine Bestrebungen
unwandelbar gewidmet, und im unerschütterlichen Vertrauen auf die Treue
meines Volkes hoffe ich, dieselbe so zu lösen, wie ich es vor Gott verantworten
kann.“ Im Abgeordnetenhause war man jedoch entschlossen, jeden vor dem
Gesetze zu rechtfertigenden Widerstand zu leisten; dies wurde von der Redner-
bühne und in allen öffentlichen Versammlungen als Losung der liberalen
Partei verkündigt.
Der Konflikt zwischen den beiden Staatsgewalten in Preußen hatte sich
damit aufs neue verschärft, während gleichzeitig die Spannung zwischen den
beiden deutschen Großmächten unvermindert fortbestand. So lagen die Dinge,
als sechs Tage nach Zusammentritt des Landtages zu Berlin der Heimgang
des Königs Friedrich VII. von Dänemark eine neue Wandlung der Dinge
hervorrief, ja die beiden alten Gegner vorübergehend zu Bundesgenossen in
der schleswig-holsteinischen Frage machte.
Der Bundestag in Frankfurt wollte bei diesem Anlaß zeigen, daß er
doch nicht so machtlos sei, wie man ihn hinstellte, und mischte sich auch seiner-
seits in die verwickelte Angelegenheit. Osterreich, um nicht von Preußen
durch selbständiges Vorgehen in dieser volkstümlichen Sache überflügelt zu
werden, ließ am 1. Februar 1864 seine Truppen in Gemeinschaft mit den
preußischen über die Eider gehen, während der Bund sich zwar der thätigen
Teilnahme am Kriege enthielt, jedoch in seinen Beschlüssen auf Errichtung
eines selbständigen Herzogtums Schleswig-Holstein unter dem Erbprinzen