Full text: Fünfzig Jahre aus Preußens und Deutschlands Geschichte.

10 Zustände in Deutschland, Preußen und Österreich. 
Auch in den deutschen Landen kam es zu Ruhestörungen und ärgerlichen Auf- 
tritten; die Braunschweiger vertrieben ihren tyrannischen Herzog Karl, den 
ältesten Sohn des Freiheitskämpfers Friedrich Wilhelm, und riefen dessen 
Bruder, den Prinzen Wilhelm, zum Herzog aus; in Frankfurt a. M. stürmte 
eine Handvoll jugendlicher Brauseköpfe die Hauptwache, in der überschweng- 
lichen Hoffnung, den verhaßten Bundestag verjagen und eine deutsche Kaiser- 
regierung an dessen Stelle einsetzen zu können. In Kurhessen und Sachsen, 
in Braunschweig und Hannover gelangten die Verfassungsfreunde zum Siege. 
Statt den wirklichen Ursachen dieser Ruhestörungen nachzugehen und be- 
rechtigten Wünschen der Bevölkerung entgegenzukommen, gingen die Regierungen 
der größeren deutschen Staaten nach Niederwerfung der Auflehnung rücksichtslos 
gegen die Urheber des Friedensbruches vor, und diese Strenge nahm zu, als 
mehrere Fanatiker, vornehmlich in Frankreich, Mordversuche gegen die Fürsten 
unternahmen. Mit Entschiedenheit verurteilten Stadt und Land die Ver- 
irrungen einzelner Tollköpfe; doch kam das deutsche Volk immer mehr zum 
Bewußtsein dessen, was ihm fehlte und was es zu erstreben galt: Gleichheit 
vor dem Gesetz, Freiheit und Unverletzlichkeit der Person, Preßfreiheit, Frei- 
heit des religiösen Bekenntnisses, Gewerbefreiheit., Teilnahme aller Staats- 
bürger an den gemeinsamen Angelegenheiten jedes Landes, guter Volksschul- 
unterricht u. s. w. Alles dieses gehört heute zu den überall anerkannten 
Volksrechten. Damals aber hießen diejenigen, welche dergleichen anstrebten, 
Ruhestörer, Revolutionäre, Demagogen. Freilich mischten sich in das berechtigte 
Verlangen der Freunde verfassungsmäßiger Staatseinrichtungen auch mancherlei 
unklare und gefährliche Bestrebungen, und es war nicht immer leicht, die Spren 
und den schädlichen Unkrautsamen von dem guten Weizen zu sondern. Wußte 
doch im Grunde keiner der vielen Gelehrten, Professoren und Schriftsteller mit 
Sicherheit zu sagen, wie man es anfangen solle, damit es wirklich besser werde 
in Nord und Süd unfres Vaterlandes. Eine Verständigung darüber hielt 
damals überaus schwer; denn man konnte nicht wie heutzutage durch das ge- 
druckte Wort sich verständigen und ohne weiteres frank und frei zu aller Welt 
sprechen. Nur das durfte ja gedruckt werden, was die Regierungen für un- 
schädlich hielten und was der Zensor zu drucken erlaubte. Und mit dem ge- 
sprochenen Worte in den Beratungssälen der Landstände oder der Kammern 
sah es gleichfalls mißlich aus. Selbst wo Verfassungen bestanden, gab es im 
Grunde doch keine rechte Landesvertretung, weil man sich in die verfassungs- 
mäßigen Einrichtungen noch nicht eingelebt hatte. 
Unbeliebtheit des Gundestages. Friede ernährt. Unfriede zerstört. Jener 
fortwährende Kampf vermehrte das allgemeine Mißbehagen und vernichtete 
das Vertranen, welches herrschen muß, wenn alle sich wohlbefinden sollen. An 
Stelle der Achtung und des Vertrauens traten Mißtrauen und Auflehnung 
gegen alles Herkömmliche, gegen schlechte wie gute Einrichtungen. Vornehmlich 
traf eine bedenkliche Mißachtung die höchste deutsche Bundesgewalt, den Bundes- 
tag zu Frankfurt a. M., weil man in ihm die Wurzel alles Übels sah. Der 
letzte Rest des Vertrauens zu demselben schwand bei Gelegenheit des Ver-
	        
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