Vor Wien. 339
Dor Vien.
Der Sieg von Königgrätz wurde von der preußischen Heeresleitung mit
bewundernswerter Thatkraft und glänzendem Erfolge ausgebeutet. Zwar
nicht zum siegreichen Einzuge in die österreichische Hauptstadt, aber bis in
ihre Nähe, bis zum Anblick des Stephansturmes und der weithin sich er-
streckenden Häusermassen Wiens führte die rasche Ausnutzung des Sieges bei
Königgrätz. Keine zweite solche Schlacht war nötig; der Friede war durch
die eine schon so gut wie erkämpft. -
Die Festungen Königgrätz, Josephstadt und nordwestlich Theresienstadt
hinter sich lassend, rückten die Preußen in drei großen Kolonnen vor: die
II. Armee unter dem Kronprinzen in der Richtung nach Olmütz, die von Prinz
Friedrich Karl geführte I. Armee, bei welcher sich der König befand, in der
Richtung auf Brünn, die Elbarmee unter Herwarth von Bittenfeld über Znaim
auf geradem Wege gegen Wien.
Benedeks Armee befand sich in bedenklicher Auflösung; unter den noch
geordneten Truppenteilen hatten nur die Sachsen ihre Haltung wiedergewonnen.
Das österreichische Heer hatte sich über die Elbe bei Königgrätz und Pardubitz,
wo bei der drangvollen Flucht noch manch braver Mann ertrank, zurückgezogen,
dann war das Korps Gablenz und ein großer Teil der Kavallerie nach Wien
abgerückt, während der Oberfeldherr seine übrigen Truppenteile nach Olmütz
führte, in der Voraussetzung, daß ihm die preußische Armee folgen werde.
Hier, auf eine starke Festung und ein verschanztes Lager gestützt, meinte er,
zur Not einen neuen Kampf aufnehmen zu können.
Aber nur die Armee des Kronprinzen folgte ihm, die beiden andern
Armeen setzten sich sofort gegen Wien in Marsch.
Am 6. Juli war im preußischen Hauptquartier die Abtretung Venetiens
an Kaiser Napoleon und das Ansuchen Osterreichs um dessen Vermittelung
bekannt geworden und damit wenigstens die Möglichkeit neuer Verwickelungen
infolge der französischen Einmischung nahegerückt. Wie Hofrat Schneider,
der Vorleser des Königs, seinen Gebieter am Tage nach der Schlacht von
Königgrätz schon früh am Morgen wieder über seinen Papieren arbeitend
hatte sitzen sehen, so fand er ihn auch am Morgen dieses Tages ruhig, als ob
nichts vorgefallen wäre. Während des ganzen Verlaufes dieses Krieges und
während der Unsicherheit der Lage schien immer eines gleich unwandelbar:
die unerschütterliche Ruhe, die unermüdliche Thätigkeit und das Pflichtgefühl
des greisen Monarchen. Nachrichten vom süddeutschen Kriegsschauplatze fehlten;
man wußte nicht, wozu sich Frankreich entschließen werde, und trug sich schon
mit der Notwendigkeit einer neuen großen Schlacht vor Wien. „Aber auch
die befremdlichsten Nachrichten vermochten nicht, den König außer Fassung zu
bringen. Es war ganz gleichgültig, ob die Nachrichten günstig oder ungünstig
waren, der ruhige milde Ausdruck des Gesichts blieb derselbe.“
Benredek ließ sich keine Mühe verdrießen, sein Heer wieder in schlag-
fertigen Zustand zu versetzen, ja es schien eine Zeitlang, als wolle er, gestützt
auf Olmütz und die rückwärtsliegenden drei noch unbezwungenen Festungen,
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