Full text: Fünfzig Jahre aus Preußens und Deutschlands Geschichte.

Das Parlament. 25 
Verhältnissen damals zu erreichen war, den einzelstaatlichen Regierungen schien 
das notwendige Wenige noch viel zu weitgehend. In der langen Zeit, da dem 
deutschen Volke der Reichsgedanke fast ganz entfremdet worden war, hatte 
überdies auch bei einem großen Teil der Bevölkerung der Einzelstaaten der 
sogenannte Partikularismus so kräftig sich entwickelt, daß man in Preußen und 
Osterreich, in Bayern und Sachsen alles, was jenseit der schwarzweißen, 
schwarzgelben, blauweißen und grünweißen Grenzpfähle lag, kurzweg als 
„Ausland“ betrachtete und kaum noch zwischen wirklich fremden Nationen und 
den engeren deutschen Stammesgenossen einen Unterschied machte, von teilweiser 
Unterordnung und gemeinsamem Zusammenwirken gar nicht zu reden. Diesen 
Widerstand der Regierungen und weiter Volkskreise in den deutschen Einzel— 
staaten, mit einem Worte, diesen Partikularismus zu besiegen, vermochte ein 
„Reichsverweser“ nicht. Nur ein wirklicher Kaiser hätte das vielleicht auch 
damals schon vermocht. Aber wer sollte dieser deutsche Kaiser sein? Hätte 
damals in Deutschland neben den vielen Mittel- und Kleinstaaten nur eine 
Großmacht bestanden, so würde die Beantwortung dieser Frage wohl weniger 
Schwierigkeiten gemacht haben. Aber die geschichtliche Entwickelung hatte es 
nun einmal mit sich gebracht, daß zwei solche Großmächte, Osterreich und 
Preußen, mit gleicher Macht und gleichen Rechtsansprüchen sich gegenüber— 
standen. Neigten die meisten süddeutschen Staaten allenfalls zu Osterreich, so 
neigten anderseits viele der norddeutschen Staaten allenfalls zu Preußen, und 
die unter den obwaltenden Verhältnissen nur zu natürliche Eifersucht zwischen 
diesen beiden Großstaaten selbst war zu stark, als daß die Frage, welche der 
beiden Dynastien, Hohenzollern oder Habsburg, Deutschland zur Einigung 
führen sollte, auch damals schon anders als auf dem Wege hätte gelöst werden 
können, auf welchem sie im Jahre 1866 endlich entschieden worden ist. Gerade 
die Großmachtstellung Österreichs und Preußens brachte es auch mit sich, daß 
beide in entscheidenden Fragen schließlich noch weniger als die Mittel- und 
Kleinstaaten um die Schattengestalt des Reichsverwesers und um die Schein- 
gewalt der Reichsregierung in Frankfurt sich kümmerten. 
Trotzdem war das deutsche Parlament in Frankfurt vorerst noch voll guter 
Hoffnung auf den Sieg der nationalen Sache. Unbekümmert um das, was 
außerhalb Frankfurts geschah, tagte die Versammlung monatelang fort, um 
den Entwurf einer neuen Verfassuug und vor allem die sogenannten deutschen 
„Grundrechte“ zu beraten. Aber auch innerhalb der Versammlung mehrten 
sich bereits während dieser Beratungen die Schwierigkeiten; die Parteigegensätze 
hatten sich mehr und mehr verschärft, und schroff stand eine republikanische 
Minderheit der monarchisch--verfassungsmäßigen Mehrheit gegenüber. Dazu 
hatte sich in den letzten Monaten die politische Lage sehr zu ungunsten der in 
dem Frankfurter Parlament gleichsam verkörperten deutschnationalen Bestre- 
bungen verändert. Jetzt pochte gar Mars an die Thore, und von dem par- 
lamentarischen Redekampfe in Frankfurt wandte die öffentliche Aufmerksamkeit sich 
vor allem dem Kampfe der Waffen in Deutschlands Nordmarken zu, wo die 
Kriegstrompete erscholl und die Trommeln zum Streite riefen.
	        
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