Preusien und der norddeutsche Pund. 65
müssen die katholischen und nichtkatholischen Christen friedlich bei ein-
ander wohnen. Unter dem Einflusse täglicher Beziehungen und einer be-
ständigen Berührung hat sich eine Strömung gebildet, die, ohne die Unter-
schiede zu verwischen, die verschiedenen Confessionen endlich so weit einander
genähert hat, daß man hoffen kann, dahin zu gelangen, eines Tages alle le-
bendigen Kräfte des Christenthums zu vereinen, um gemeinsam die Irrthümer
zu bekämpfen, deren Einfluß die Welt bereits erleidet zum großen Schaden
der religiösen Gesinnungen. Nun ist zu befürchten, daß diese annähernde Be-
wegung gewaltsam gehemmt werde, wenn die Ereignisse bestätigten, daß die
Tendenzen, die unsere Bischöfe bekämpfen, und gegen welche die öffentliche
Meinung alle Gründe geltend macht, die sie aus dem Bedürfnisse schöpft,
die Grundlage unseres nationalen Bestehens gegen alle Angriffe
zu wahren, in den Berathungen des Concils siegen sollten, bis zu dem Grade,
daß sie der ganzen Welt als relügiöse Glaubensregel und somit als politische
Regel auferlegt würden. Unsere Bevölkerungen, man kann das nicht ver-
kennen, würden darin nur die Wiederaufnahme alter Kämpfe sehen, weil sie
nicht beruhigt werden können durch eine Argumentation, die dahin strebt, das
politische Verhalten als ganz unabhängig darzustellen von dem, was ihnen
als religiöse Pflicht gelehrt würde. Es wäre nicht unmöglich, daß die Re-
gierung des Bundes, welcher Vorwürfe darüber, daß sie sich nicht bei
Zeiten Dem entgegengesetzt hat, was man, mit Recht oder Unrecht, die Pro-
jecte Roms nennt, nicht gefehlt haben, die Freiheit des Handelns in
religiösen Sachen nicht mehr haben würde, deren sie sich bisher
im Interesse der katholischen Kirche bedient hat. Indem wir diese
Betrachtungen dem heiligen Stuhle vorlegen, sind wir durchaus nicht von den
Ideen derjenigen beeinflußt, welche die römische Curie vielleicht als ihre Feinde
betrachtet. Wir haben kein Interesse, die Autorität des Papstes zu schwächen.
Als befreundete Macht und um dem heiligen Stuhle einen neuen Dienst zu
erweisen, möchten wir durch die Freimüthigkeit, womit wir uns über unsere
Lage und über die Gefahren einer religösen Krisis aussprechen, beitragen, von
den Berathungen des Concils Alles fern zu halten, was die im Allgemei-
nen befriedigende Stellung der katholischen Kirche in Deutschland gefähr-
den könnte."“
25. April. Kaplan Jantsch in Liegnitz erklärt öffentlich, daß
„die Lehre von der Infallibilität und das gesammte kirchenpolitische Sy-
stem, wie es im Syllabus und in der denselben begleitenden Enchcelica her-
vortritt, im schneidendsten Gegensatze zur Vernunft, zum Evangelium, zur alten
Kirchenverfassung, zu den Anschauungen der Kirchenväter stehe, und daß dieses
System, zum Princip erhoben, wegen seiner innern Unwahrheit mit Nothwen-
digkeit zur Auflösung des kirchlichen Organismus führen müßte, und zwar,
in Anbetracht der Weltlage, in einer nicht gar fernen Zukunft",
retractirt aber später in Folge der deshalb erlittenen Anfechtungen.
27. „ (Zollverein). Das Zollparlament genehmigt die Abänderung
der Verordnung bez. Besteuerung des Rübenzuckers und den Han-
delsvertrag mit Mexico.
29.—30. April. (Zollverein). Zollparlament: Beginn der Tarifdebatte.
Generaldebatte darüber.
Die Vorlage des Zollbundesraths unterscheidet sich von der vorjährigen
vorzugsweise dadurch, daß die damals wieder proponirte Petroleumsteuer fallen
gelassen und durch eine Erhöhung des Kaffeezolls ersetzt ist, in der Hoffnung,
daß das Parlament darauf eher eingehen werde. Die Regierungen ständen
sich dabei nicht weniger gut. Der muthmaßliche Mehrertrag des Petroleum-
zolls ward damals von ihnen auf 900,000 Thlr., derjenige der nunmehr vor-
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