Einleitung.
Die religiösen Umwälzungen, die dem 16. Jahrhunderte das
charakteristische Gepräge verleihen, sind auch für die Geschichte
der Reichstagsverfassung von ausschlaggebender Bedeutung.
Die kräftigen ständischen Reformbestrebungen, die unter Bertholds
von Mainz genialer Leitung zu Beginn der Neuzeit so ver-
heißungsvolle Ergebnisse gezeitigt hatten, mußten gar bald der
alles in ihren Bannkreis ziehenden religiösen Bewegung weichen,
und die von nun ab den Reichstag spaltende Kluft des Bekennt-
nisses machte von vornherein die Wiederaufnahme einer ziel-
bewußten reichsständischen Dolitik unmöglich.
So finden wir denn auch in der Geschichte der Reichstags-
verfassung mehr denn je ein ständiges Schwanken, in engster
Anpassung an die jeweilige politische Lage, eine Unklarheit selbst
in verfassungsrechtlichen Grundfragen. Was gestern als alther-
gebrachtes Recht gegolten, ist heute Gegenstand eines erbitterten
Streites, um morgen, unter geänderter politischer Ulonstellation,
wieder von keiner Seite angefochten zu werden.)
Nicht leicht ist es unter solchen ungeklärten Derhältnissen, ein
auch nur annähernd richtiges Bild der Derfassungsgeschichte des
Reichstages in diesem Seitabschnitte zu gewinnen. Um vieles
aber wird diese Schwierigkeit noch erhöht durch die Spärlichkeit
des Ouellenmaterials, aus dem wir unsere lkenntnis schöpfen
können. Die Reichstagsabschiede bieten nur geringe Ausbeute.
Denn noch in gesteigertem Maße gilt für den Derfassungs-
bistoriker, Rankes vom Standpunkte des Geschichtsschreibers ge-
sprochenes Wort: „Wer wollte je eine beratende Dersammlung
1) Zch erinnere hier nur an die wechselnde Zaltung, die der Kaiser
und die beiden höheren Uollegien gegenüber dem Anspruche der Städte auf
volle Reichsstandschaft einnahmen.
Quellen und Studien I, 1. 1