Erstes Eapitel.
Ansicht der Stellung Friedrich Wilhelm I. in den politischen
Verwickelungen von 1715— 1722.
Selbst das innere Wesen des preußischen Staates war durch die
Theilnahme seiner Fürsten an der Aufrechthaltung des Princips kirch-
licher und politischer Selbständigkeit gegen die großen katholischen Po-
tenzen, welche die Welt beherrschten, Polen auf der einen, die spanisch-
österreichische Macht auf der andern Seite bedingt worden. Durch den
Gang, den die Ereignisse nahmen, war dann eine andere Gefahr
erwachsen: sie lag in der Ueberlegenheit von Frankreich über den ge-
sammten Continent, namentlich in seiner Verbindung mit dem im
Norden und Osten mächtigen Schweden.
Wir haben gesebhen, welchen Antheil Brandenburg an dem Kampfe
gegen diese doppelte Uebermacht nahm, in immerwährendem Zusam-
menhange mit den großen politischen Combinationen der Epoche.
Sein Antheil an der Entfernung Schwedens aus Deutschland und
dem Zurückdrängen der französischen Präponderanz gab ihm eine hohe
Bedeutung in der Gesammtheit der europäischen Mächte. Aber noch
hatte Schweden auf Pommern nicht Verzicht geleistet, noch lebte
Carl XII, von welchem das niemals zu erwarten war. Polen be-
fand sich nicht in dem Zustand, um sich des Vortheils, der ihm aus
dem Zurückweichen der Schweden entsprang, zur Wiederherstellung
seines alten Umfangs zu bedienen. Denn auch das ist wohl ein Gesetz
der politischen Entwickelungen, daß, wenn die großen Verhältnisse und
Antriebe, unter deren Einwirkung ein Staat zu seiner Machtstellung
gelangte, einmal gebrochen sind, auch dessen innerer Bestand gefährdet
ist. Es giebt immer entsprechend den Abwandlungen der vorherrschenden
allgemeinen Tendenzen zurückweichende und vordringende, ohnmächtig