Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Fluchtversuch des Kronprinzen. 115 
liehen, der ihm Juwelen verkauft und abgekauft; auch ein junges 
Mädchen, Dorothee Ritter, Tochter eines kurz vorher nach Potsdam 
gekommenen Schulmannes, die er ein paar Mal an ihrer Hausthür 
gesprochen, und der er einige kleine Geschenke gemacht hatte; auf das 
härteste mußte sie büßen. 
Aus den Aussagen, die in den Acten vorkommen, ist unsere 
Erzählung der Ereignisse zusammengesetzt worden; das Merlwürdigste, 
was außerdem daraus hervorgeht, ist die Haltung des Prinzen. 
Er bekennt, daß er sehr Unrecht gethan habe, und sucht sich nicht 
zu vertheidigen. Nur will er nicht zugestehen, daß der Fluchtversuch 
als Desertion betrachtet werden dürfe; so könne man es nicht nennen, 
daß er sich der Ungnade seines Vaters habe entziehen wollen. Dabei 
entschlüpft ihm nichts, was seiner Mutter oder seiner Schwester hätte 
zur Last gelegt werden können. Ueber das Verhältniß zu England, 
das sein Vater kennen zu lernen besonders begierig ist, das aber 
nicht so entscheidend gewesen war, wie derselbe wohl dachte, drückte 
er sich mit Vorsicht und Zurückhaltung aus. 
Bei einem Verhör, das auf dem Wege nach Cüstrin zu Mitten- 
walde, am 8. September mit ihm vorgenommen wurde, mußte er 
erfahren, daß Katte nicht entkommen sei, und man deutete ihm an, 
es könne diesem wohl das Leben kosten. Er ließ seinem Vater vor- 
stellen, er möge ihn als den Schuldigen ansehen, und Katte als den 
Verführten: er, als des Königs Sohn, habe auf jeden Fall die 
größere Strafe verwirkt; er würde sein Leben lang seine Seelenruhe 
nicht wieder finden, wenn Jemand seinetwegen den Tod erleiden sollte. 
So kam er nach Cüstrin, wo er in eigentlich scharfen Arrest 
genommen ward: in einem Zimmer, das mit neuen starken Schlössern 
und Riegeln verwahrt wurde; an der Thür standen zwei Wachen, 
auf der Treppe noch eine; der wachthabende Offizier schlief in dem 
Vorzimmer: Niemand durfte länger bei ihm bleiben als vier Minuten. 
Der König hatte die Artikel selbst aufgesetzt, auf welche hier am 
16. September durch den Generalauditeur Mylius ein neues Verhör 
mit ihm angestellt wurde. Besonders merkwürdig sind darunter die 
letzten, gegen die Mylius einige Einwendungen machte, wegen der 
Folgen, die daraus entspringen könnten: der König wiederholte ihm 
jedoch den unabänderlichen Befehl, sie dennoch vorzulegen 1). Der 
1) „Ich befehle es euch: es ist meine strenge Ordre, die ich habe selber 
meinem Secretär in die Feder dictirt; ich befehle euch, meine Ordre auf 
meine Verantwortung zu exequiren.“ 
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