Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

118 Fünftes Buch. Fünftes Capitel. 
seiner aufbrausenden Natur, und vielleicht durch eine oder die andere 
zornige Aeußerung veranlaßt, das Aeußerste befürchtet haben. Die 
befreundeten Fürsten versäumten nicht sich für den Gefährdeten zu 
verwenden: König Friedrich von Schweden erinnerte Friedrich Wil- 
helm an das Vertrauen, das seine Familie, sein Volk, alle Pro- 
testanten zu ihm hätten; König August von Polen, er möge die Sache 
nicht mit militärischer Strenge, sondern als ein großer Herr mit 
Großmuth behandeln; Kaiserin Anna von Rußland sagt, der Kron- 
prinz, von dessen ausnehmenden Fähigkeiten und Eigenschaften man 
so viel Rühmliches melde, sei gewiß nur auf einen Augenblick durch 
unbesonnene Leute verführt worden. Ebenso drückt sich auch Carl VI 
in seinem Intercessionsschreiben aus 1). Noch sei zwar, heißt es darin 
weiter, der Kronprinz von der Neigung des Kaisers zu dem könig- 
lichen Kurhaus Brandenburg nicht recht überzeugt, aber diese Ver- 
wendung werde ihn davon überführen: von der beständigen Vertrau- 
lichkeit der beiden Häuser hange ihre Wohlfahrt ab. Wer wollte 
leugnen, daß so viele Vorstellungen einigen Eindruck auf den König 
hervorbringen konnten? Doch dürfte man nicht sagen, daß sie seinen Ent- 
schluß bestimmt hätten; auch nicht die kaiserliche, obwohl das Antwort- 
schreiben, die freundliche Annäherung mit einer entsprechenden erwie- 
dernd, dahin zu deuten scheint; Seckendorf, dem es überlassen war, 
zu beurtheilen, ob, wann und wie weit sich etwas für den Kron- 
prinzen thun lasse, überreichte das Schreiben, zu dem er selber den 
Entwurf gemacht, erst am 31. October, als das Urtheil des Kriegs- 
gerichts dem König überreicht und von ihm, insofern es den Kron- 
prinzen betraf, ohne Widerrede hingenommen war. 
auf die im Briefe vorangehende Aeußerung, daß alle seine Ermahnungen — 
er meint doch auch die politischen — bei dem Krouprinzen vergeblich gewesen 
seien, so daß er mit rechtem Ernste wider ihn habe verfahren müssen; auch 
jetzt habe er Ursache, ihn einen solchen empfinden zu lassen. Daß er dies nicht 
weiter thut, sondern seinem Sohne Verzeihung angedeihen läßt, ist es, was 
er der Intercession des Kaisers zuschreibt. Aber wie weit ist dies von der 
Tradition entfernt, er habe das Leben seines Sohnes aus Rücksicht auf den 
kaiserlichen Hof geschont. Ein einigermaßen haltbarer Beweis für die angeb- 
liche Absicht des Königs ist nirgende beigebracht worden. Dennoch wird die 
traditionelle Erzählung noch immer festgehalten. 
1) „Diese aus aufrichtig und liebreichster Neigung — — — ergehende 
Vorschrift.“ In dem Leben Seckendorfs, wo dies Schreiben sammt den Ant- 
worten des Königs und des Kronprinzen zuerst mitgetheilt wurde (IV, 285), 
wird die Ueberreichung den 1. November angesetzt. Die Antwort des Kron- 
prinzen war diesem wörtlich vorgeschrieben.
	        
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