Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Fluchtversuch des Kronprinzen. 121 
nichts, was er ihm zu verzeihen hätte 1), nahm sich selbst das Hals- 
tuch ab, und richtete sein Gesicht nach dem Prinzen; die Augen auf 
ihn geheftet, so wollte er sterben. Friedrich ward bei dem Anblick 
von einer Ohnmacht ergriffen: als er wieder zu sich kam, war Alles 
vorüber; Kopf und Rumpf des Todten zusammengelegt, lag auf dem 
Platze; er wich nicht von seinem Fenster, bis Nachmittags ein paar 
Bürger erschienen, den Körper in den Sarg zu legen und wegzu- 
bringen; auch alsdann verwandte er kein Auge von der Richistätte; 
in der Nacht hörte man ihn mit sich selber sprechen; am andern 
Morgen sagte er, der König habe ihm Katte nicht nehmen können; 
unaufhörlich stehe ihm derselbe vor den Augen. 
Wenn dann der nämliche Geistliche, der den Freund zum Tode 
vorbereitet hatte, bei ihm erschien, und religiöse Gespräche mit ihm 
anfing, so entstand in ihm der Gedanke, daß auch er über acht oder 
vierzehn Tage denselben Weg zu gehen bestimmt sei. 
Wer kann die Wirkung ermessen, die solch ein Ereigniß, dies 
heftige Emporstreben aus einem drückenden, verletzenden Zustand, und 
da es mißlingt, die doppelte Gewalt der unüberwindlichen Nothwen- 
digkeiten, die das Leben bedingen, der Anblick des denselben zum 
Opfer fallenden Freundes, dies Schwanken zwischen Leben und Tod 
auf eine noch nicht vollkommen befestigte, in ihrer Entwickelung be- 
griffene, großer Dinge fähige Seele ausüben mußte. 
Merkwürdig finde ich, daß in dem ganzen Laufe des Verhörs 
kein Wort des Hasses, keine Spur einer politischen Absicht zum Vor- 
schein kommt. Wie ganz anders als etwa bei Don Carlos von 
Spanien, der in fieberhafter Gereiztheit von der Ermordung seines 
Vaters gesprochen hat: oder bei dem russischen Alexei, welchek die 
Absicht in sich nährte, Alles rückgängig zu machen, was sein Vater 
geschaffen, diesen als einen Unterdrücker des Vaterlandes betrachtete, 
sich als den geborenen Befreier desselben, nicht von seinem Vater das 
Reich erben, sondern von dem Kaiser Carl VI eingesetzt werden 
wollte ). Hier könnte man von einer politischen Absicht höchstens 
bei dem Vater reden, der den Versuchen, von der Fremde her in sein 
Haus und seine Politik einzugreifen, auf immer ein Ende zu machen 
1) Lepel giebt die Worte an: „Je vous demande mille pardonps“, worauf 
Katte ungefähr geantwortct: „Monseigneur vous M’avez rien à me deman- 
der“, was wohl keinen andern Sinn haben kann als den angegebenen. 
2) Einige seiner Geständnisse bei Bergmann, Peter d. G. IV, 240, 279. 
Affanaßjews 283.
	        
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