Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Friedrich Wilhelm I. und die Politik von 1715—22. 7 
werdende und erstarkende Potenzen. In hoher Aufnahme war damals 
Rußland, welches zur Niederwerfung der dominirenden schwedischen 
Macht durch die Schlacht von Pultawa ohne Zweifel das Meiste bei- 
getragen hatte und nunmehr dahin strebte, die errungene Position an 
der Ostsee zu behaupten, durch welche es erst ein gleichartigee Mit- 
glied des europäischen Gemeinwesens wurde. Für Brandenburg kam 
fast das Meiste darauf an, wie es sich zu dieser Macht in dem fort- 
dauernden Kampfe gegen Schweden stellen würde. 
Der westliche Krieg hatte lange nicht eine so durchgreifende Ent- 
scheidung herbeigeführt, wie der östliche. Wenn es einmal schien, als 
würde der König von Frankreich durch die große Allianz vollkommen 
besiegt und zur Annahme der Bedingungen, die man ihm vorschrieb, 
gezwungen werden, so war es doch so weit nicht gekommen in Folge 
der Entzweiung der Coalition und der eigenen Anstrengungen der 
Franzosen. England war durch seine national-eeligiöse Erhebung und 
eine kräftig emporkommende Seemacht ihnen allenthalben erfolgreich 
entgegengetreten. In Verbindung mit England hatten die deutschen 
Mächte dem französischen Einfluß Grenzen gesetzt. Frankreich konnte 
in jener Epoche fürs erste nicht mehr daran denken, sein niederdrücken- 
des Uebergewicht in dem Abendlande zu erneuern. Doch behauptete 
es noch immer eine große Stellung in Europa. Von universalhisto- 
rischer Wichtigkeit ist der Friede von Utrecht, der nach so langen und 
blutigen Kämpfen ein System des Gleichgewichts zwar keineswegs 
durchführte, aber doch neu begründete. Unter all dem Hader der 
politischen Parteien erscheint es als der leitende Gedanke, jene Verbin- 
dung der beiden Linien des Hauses Oesterreich in Deutschland und 
Spanien, welche in Europa lange Zeit vorgewaltet hatten, nicht wieder- 
herzustellen, zugleich aber auch die Abhängigkeit der Länder der spa- 
nischen Monarchie von Frankreich, welche durch die Erbfolge des Hauses 
Bourbon begründet werden sollte, nicht zu Stande kommen zu lassen. 
Spanien und Indien sollten fortan unabhängig von Frankreich, sowie 
von Oesterreich, für sich selbst bestehen; das Haus Bourbon sollte sie 
besitzen, aber der französische Hof den spanischen — so hoffte man 
— seiner Politik niemals dienstbar machen können. Für Spanien 
entstand eine veränderte Weltstellung dadurch, daß es die Niederlande 
nicht mehr besaß, durch die es bisher im intimen Contact mit allen 
europäischen Mächten gehalten worden war. Es wurde gleichsam ein 
neues Staatswesen, dessen Schwerpunkt mehr als je in Castilien lag. 
Eben dadurch wurde das bisherige System aufgelöst, daß die 
Niederlande an Oesterreich übergingen. Der alte Gegensatz zwischen
	        
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