Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

130 Fünftes Buch. Fünstes Capitel. 
als dem gönne er diese reiche Erbin; an seinen Sohn zu denken, 
verbot ihm schon die Religion, deren Gegensatz, durch die Natur 
beider Staaten und die Sinnesweise beider Familien getragen, ein 
unübersteigliches Hinderniß bildete. 
Etwas näher ist der König auf einen andern Gedanken ein- 
gegangen, der damals aufkam, den Kronprinzen mit der präsumtiven 
Erbin von Rußland zu vermählen. 
Es war Elisabeth Catharina Christine von Mecklenburg, Enkelin 
Iwans, des älteren Bruders Peters I, deren Rechte auch bald darauf 
von ihrer Tante, Kaiserin Anna, anerkannt worden sind. Am russischen 
Hofe gab es eine Stimme dafür. Der damals in den auswärtigen 
Angelegenheiten wirksamste Minister Ostermann hat gesagt, wenn er 
dies Meisterstück der Politik vollbringe, so werde er sich auf immer 
Ruhe gönnen. Friedrich Wilhelm aber machte Bedingungen, die 
nimmermehr zu erlangen waren: Beibehaltung der Religion nicht 
allein für den Prinzen 1), sondern auch für alle aus der Ehe ent- 
springenden Kinder; und sodann: unmittelbare Eidesleistung der ganzen 
russischen Armee an denselben, als dereinstigen Nachfolger. Auch dann 
aber wäre noch immer die wichtigste Frage übrig gewesen, in welches 
Verhältniß der preußische Staat zu dem russischen Reiche treten würde; 
denn eine Vereinigung von beiden hätte ganz Europa in Bewegung 
gesetzt. Der Kronprinz, den man einmal gefragt hat, ob er, wenn 
die Sache zu Stande komme, geneigt sei, auf die preußische Krone 
Verzicht zu leisten, antwortete, er wolle eine so große Thorheit 
nicht begehen: wenn er es thäte, so meinte man, er würde es nicht 
halten, sondern beim Tode seines Vaters an der Spitze einer rus- 
sischen Armee an den Grenzen erscheinen und sein angestammtes Erbe 
zurückfordern 2). 
Es war überhaupt nicht bestimmt, daß diese mächtig aufwach- 
sende geistige Kraft dem einen oder dem andern der benachbarten 
1) Nach einem Bericht vom 10. Jan. 1731 wäre man nicht abgeneigt 
gewesen, dies zuzugestehen, die Prinzessin jedoch werde übertreten müssen: doch 
sei der Erzbischof von Nowgorod, der sie unterrichte, im Herzen gut lutherisch. 
— Unter andern Einwürfen erscheint auch der, daß man nicht wisse, ob sich 
nicht Kaiserin Anna noch vermählen und ob nicht später die Nation die Prin- 
zessin Elisabeth vorziehen würde. — 
2) Arneth, Prinz Eugen, Bd. III, S. 335 ff. So ungefähr drückt sich 
auch Prinz Eugen aus, der ollen Ernstes Über dies Vorhaben in Aufregung 
gerieth: er fürchte einen Umsturz des ganzen Systems, da sich der Prinz leicht 
an Frankreich und England anschließen würde.
	        
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