Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

156 Sechstes Buch. Erstes Capitel. 
hergebrachten Vorrang des Adels aufheben, — denn wie solle bei 
freiem Verfügungsrechte das Ansehen der Familien sich erhalten; alle 
Ansprüche der zu gesammter Hand Belehnten würden vernichtet wer- 
den; es scheine, als wolle man den Adel zu einem contribuablen 
Stande machen, ihn Bürgern und Bauern gleichstellen. Wäre die 
Ritterschaft sofort zusammenberufen, der Antrag ihr in seiner ersten 
schroffen Gestalt vorgelegt worden, so würde sie ihn unfehlbar ver- 
worfen haben. 
Nun befolgte man aber damals noch die der Einfachheit und 
Vertraulichkeit der Verhältnisse entsprechende Methode, die Verhand- 
lungen auf den Kreistagen der Ritterschaft beginnen zu lassen, wo# 
es dann mehr zu Besprechungen als zu eigentlicher Debatte kam. 
Ungezwungene Rede und Widerrede konnten der Regierung zeigen, 
was sie auszuführen vermöge, und ihre Absichten modificiren. 
Von den damals gehaltenen Kreistagen war ohne Zweifel der 
havelländische der merkwürdigste. Der Urheber des Entwurfes, Katsch, 
übernahm dessen Leitung, und es gelang ihm, die Anwesenden von 
dem Vortheil zu überzeugen, der ihnen aus der Veränderung ent- 
springen werde. Bei der ersten Zusammenkunft der Abgeordneten der 
Kreise in Berlin ließ es dann die Regierung, in deren Schoße eben- 
falls mancherlei Einwürfe laut geworden 1), ihr vornehmstes Bestreben 
sein, die Standesbesorgnisse wegzuräumen, die sich ihr am meisten 
entgegenstellten. Der König erkannte die Ansprüche der Gesammt- 
händer an, beschränkte die Erbfolge der Töchter auf den Abgang der 
männlichen Linie, genehmigte die Beschränkungen, denen die Ver- 
äußerungen und Verschuldungen unterlagen, und ließ überhaupt Alles 
fallen, was dem Stande als solchem nachtheilig werden konnte. 
Was er aufgab, war hauptsächlich sein eigenes Anrecht: Lehnwaare, 
Consensgebühr und Heimfall. Dafür und zur Erstattung des Roß- 
dienstes, zu dem ja bei der Bewaffnung der Nachbarn die Ritterschaft 
jeden Augenblick sich bereit zu halten rechtlich verpflichtet sei, for- 
derte er einen jährlichen Canon, den er anfangs auf 50, später auf 
40 Thaler für das Lehnpferd festsetzte. Katsch hatte im ersten Eifer 
60 Thaler für möglich gehaltrn. 
Die Deputirten sind hierüber, um sich mit ihren Standesgenossen 
in den Kreisen zu besprechen, nach Hause gegangen, und noch zwei- 
mal, im April und Juni 1717, in Berlin wieder zusammengetreten. 
1) Die Commission bestand aus Ilgen, Grumbkow, Krant, Creuz und 
Katsch. Der Obermarschall Prinzen machte die vornehmsten Einwendungen.
	        
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