Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

200 Sechstes Buch. Drittes Capitel. 
diesen Schandfleck nicht haben, noch wider sein Gewissen handeln. 
Ohne alle Zögerung, 12. Juni 1733, ward das verlobte Paar — 
von Mosheim, dessen Traurede gedruckt ist — eingesegnet, und we- 
nigstens das fand der Prinz daran nicht mehr zu tadeln, daß seine 
Gemahlin keine englische Prinzessin war; diesen Wunsch hatte er seit 
der Verheirathung seiner Schwester vollkommen aufgegeben. 
Die dynastische Verflechtung hing mit der politischen genau zu- 
sammen. Der kaiserliche Hof war wieder versöhnt mit Georg II, 
was ihm in dem westlichen Europa, wo sich die bourbonischen Ten- 
denzen wieder regten, eine andere Stellung gab, in welcher er 
Preußens nicht unbedingt bedurfte; sein Bemühen war dann, auch 
Preußen in dieses Verhältniß hineinzuziehen. Für den Norden war 
er mit Rußland verbündet und mit Sachsen einverstanden; er machte 
den Anspruch, daß auch Preußen dieser Abwandlung folge. Haupt- 
sächlich darauf bezog sich das Mißverständniß, das damals zwischen 
den beiden vorwaltenden österreichischen Staatsmännern obwaltete. 
Prinz Eugen trug den Ansprüchen von Preußen Rechnung:; Stahren-= 
berg wandte sich davon ab. Und diese Richtung behielt von nun an 
in Wien die Oberhand. Aber Friedrich Wilhelm war nicht der Mei- 
nung, einer ausschließend russisch-österreichischen Direction zu folgen. 
Wenn er sich im Bunde mit Oesterreich von England losgerissen, so“- 
nahm er jetzt Oesterreich und Rußland gegenüber eine unabhängige 
Haltung an. Er war noch entfernt davon, sich an Frankreich anzu- 
schließen; aber er nahm doch wieder die durch seine geographische Lage 
gebotene Rücksicht auf diese Macht. 
Die Unterhandlungen nahmen sogleich einen ganz andern Ton an. 
Noch im Juni forderte Seckendorf den König auf, einer Er- 
klärung beizutreten, durch welche die Mächte die Ausschließung Stanis= 
laus Leszczynski's vom polnischen Throne aussprechen wollten;:; — 
allein er fand damit nicht mehr die alte Bereitwilligkeit. 
Die Minister erinnerten den König, daß der löwenwoldische 
Vertrag von Oesterreich und Rußland nicht ratificirt worden sei, 
eben deshalb Preußen nicht binden könne. Die Bemerkung, die gegen 
England gegolten, wendeten sie nun gegen Rußland und Oesterreich 
an: man würde eine subalterne Macht sein, wenn man so schlechthin 
dem nachtreten wollte, was von den beiden Nachbarn beschlossen 
worden 1). Spreche Preußen, sagen sie dann weiter, die Exclusive 
des Stanislaus aus, so sei es auch verpflichtet, dieselbe aufrecht zu 
  
1) Vorstellung der Minister vom 23. Juni.
	        
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