Polnisch-französische Verwickelung 1733—35. 207
wir wollen nicht geradezu sagen, hervorgebrachten Einfluß fortreißen
lassen, ohne sich recht bewußt zu sein, was sie thun. Das mächtige Ruß-
land hatte ihnen angekündigt, es für eine Kriegserklärung halten zu
wollen, wenn sie Stanislaus wählten; nichts war gewisser, als daß dies
Wort erfüllt werden würde: welche Vorkehrungen traf man, um einem
solchen Anfall zu begegnen? Man hat nichts bedacht, nichts vorgekehrt.
Wie die Sachen gingen, so fanden die Russen nicht allein keinen Wider-
stand, sondern eine bessere Unterstützung, als sie jemals hätten hoffen
können. Die Nichteinverstandenen, welche sich von dem Wahlreichstag
getrennt und nach Praga begeben hatten — noch besonders dadurch
beleidigt, daß man dort gar nicht einmal die Rückkehr der zu ihnen
abgeschickten Boten erwartet, sondern lden Primas zu unverzüglicher
Proclamation des Stanislaus genöthigt hatte — begaben sich unter
den Schutz der von ihnen selbst eingeladenen, unter Lasch heran-
rückenden russischen Truppen !). Dann aber blieb ihnen nichts weiter
übrig, als demjenigen ihre Stimme zu geben, den die Kaiserin und
einige Bischöfe ihnen vorschlugen. Noch ehe der Termin des Wahl-
reichstags vollends abgelaufen, kamen sie in die Nähe von Warschau
zurück und nahmen auch ihrerseits ein Wahlfeld ein, wo vor Zeiten
wenigstens Ein König, Heinrich von Anjon, erhoben worden war:
hier, nicht ohne die altherkömmlichen Formen zu beobachten, so weit
ihre geringe Anzahl es gestattete, erwählten sie am 5. October 1733
den Kurfürsten von Sachsen zum König von Polen. In einem nahen
Walde standen die Russen. Noch waren ihrer nicht mehr als 12,000.
Wer hätte nicht erwarten sollen, daß der feurige Adel, bei 100,000
Köpfe stark, sich gegen sie erheben, und sie zurückwerfen würde? Die
Zeiten solcher Thatkraft aber waren vorüber. Damals setzten die
Polen ihre ganze Hoffnung auf französische Hülfe 2).
Auch nahm man nirgends in der Welt einen so lebhaften An-
theil an dem polnischen Ereigniß wie eben in Frankreich. Eine An-
zahl reicher Privatleute, Geldbesitzer, Große des Hofes haben den
Freunden des Stanislaus über Amsterdam und Hamburg ansehnliche
Summen zukommen lassen und seine Erhebung unterstützt. In der
Schloßcapelle zu Versailles sang man ein Tedeum dafür: in Paris
mußte eine beabsichtigte Erleuchtung durch ein Verbot gehindert werden.
1) Manstein, Mémoires sur la Russie, S. 33. Seyler, Leben Stanis-
lai 336 mit einigen trotz ihrer Heftigkeit belehrenden Manifesten.
2) Lettre d’un Seigneur Polonais, écrite de Königsberg 10. Sept.
735. Oeuvres du philosophe bienfaisant I, 88.