230 Sechstes Buch. Fünftes Capitel.
Wenngleich ihm keine Ahnung davon beiwohnte, daß die Prä-
liminarien so nahe seien wie sie waren, so sah doch damals ein Jeder,
daß man sich nicht mehr ernstlich schlagen werde; die allgemeine Ueber-
zeugung ging dahin, daß Seckendorf mit seinem Unternehmen dem
Heere weitläufigere und bequemere Winterquartiere jenseit des Rheins
verschaffen wolle. Nun war in jenen Tagen der alte Fürst von
Dessau in dem dortigen Feldlager: dieser machte den König aufmerk-
sam, daß, wenn seine Truppen dahin geführt würden, diese in den
gänzlich erschöpften und deshalb weit und breit zu durchziehenden,
dem Feinde so nahen Lande die gefährlichste Gelegenheit zur Desertion
finden würden. Auf diese Nachricht war es, daß der König seine
Theilnahme an dem Zuge verweigerte; er hatte um so weniger Arg
dabei, da ihm Seckendorf schrieb, für diesen Fall seien schon andere
Truppen bereit, die preußischen zu ersetzen.
In dieser Weigerung sah man in Wien eine Art von Abfall,
einen Bruch der Tractate.
Indem der König dem französischen Gesandten keine Audienz
gab, um jeden Verdacht zu vermeiden, und das correcteste Verfahren
mit ängstlicher Sorgfalt zu beobachten beflissen war, gab man ihm
in Wien Treulosigkeit und Abfall Schuld. Man verstand eine Hal-
tung nicht, welche der alten Freundschaft so viel selbständiges Ge-
bahren zur Seite setzte; verschmähte einen Verbündeten, der das nicht
ganz sei. Ohne Zweifel werden Berichte, die aus Mißverständniß
hervorgegangen, widerwärtige Befürchtungen veranlaßt haben. Und
da man jetzt mit Frankreich im Bunde stand, dieses aber mit dem
Hause Neuburg, so daß nichts unbequemer und schwieriger wurde,
als den Tractat von 1728 zu erfüllen, so mögen die Beschwerden
als eine nicht unwillkommene Gelegenheit erschienen sein, sich der
Pflichten, die durch denselben auferlegt waren, zu entschlagen.
In den diplomatischen Gesprächen begannen die Irrungen. Der
preußische Gesandte erinnerte einst, daß der König seine Verpflich-
tungen pünktlich erfüllt habe: der Hofkanzler Graf Sinzendorf zuckte
die Achseln und antwortete, darüber wäre viel zu sagen.
Der König forderte den Wiener Hof auf: da nun bei dem
Frieden eine allgemeine Beilegung der in Europa noch obschwebenden
Händel zu erwarten sei, seinen Versprechungen in der jülich-bergischen
Angelegenheit nachzukommen; der König werde, wenn der jetzige Be-
sitzer sterbe, nach dem Reichsherkommen unverzüglich den Civilbesitz
ergreifen lassen. Sinzendorf sagte: das werde sich wohl finden: er