Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Friedrich Wilhelm I. 241 
Wenn eine brandenburgisch-preußische Macht kampfgerüstet und 
drohend am Niederrhein erschienen wäre, so würde der Anfall der 
Bourbonen höchst wahrscheinlich ohne Erfolg geblieben sein; aber 
Carl VI lebte nur immer in den allgemeinen politischen Combinationen, 
die sein Verhalten jeder Zeit bestimmt hatten. Zu einer Verbindung mit 
Preußen auf der Grundlage gleicher Berechtigung konnte er sich nicht 
entschließen. Wenn es je einen deutschen Fürsten gab, dessen Sinnes- 
weise die Eifersucht des kaiserlichen Hofes hätte zurückdrängen können, 
so war das Friedrich Wilhelm 1, der jetzt nichts mehr gewünscht hätte, 
als mit seiner ganzen Macht nicht allein als deutscher, sondern als 
europäischer Fürst an der Seite des Kaisers zu erscheinen. Da sein 
Erbieten nicht angenommen wurde und die Seemächte zu keiner Theil- 
nahme zu bringen waren, so erfolgte, daß die Bourbonen die Ober- 
hand behielten. Sie eroberten die beiden Sicilien. Das hinderte 
aber nicht, daß die ihrer Natur nach feindselige französische Politik 
wieder als der Stützpunkt der kaiserlichen Macht betrachtet wurde. 
Es war ungefähr wie im Jahre 1678. 
Friedrich Wilhelm sah sich zurückgestoßen und beleidigt wie einst 
sein Großvater; er gerieth in die Nothwendigkeit, sich nun auch selbst 
an Frankreich zu wenden, um seines Anspruches nicht ganz verlustig 
zu gehen. In diesem Wechsel der politischen Verhältnisse lag das 
Schicksal seines Lebens, um so mehr, da er sich mit einer Art von 
Leidenschaft von England losgerissen und an Oesterreich angeschlossen 
hatte, was seine Gewaltsamkeit reizte und ihn in alle jene Verhältnisse 
verwickelte, die seinen Nachruf in der Welt verdunkelt haben; er ist der- 
selben immer im Lichte eines eigenwilligen Tyrannen in Haus und Land 
erschienen. Bei diesem Leben wird man, wie bei so manchem anderen, 
an eine nordische Sage gemahnt, in welcher Odin und Thor das Schick- 
sal eines aufwachsenden Helden bestimmen. Ich schaffe ihm, sagt der 
erste, daß er drei Menschenalter lebe; sein Stamm, sagt der andere, soll 
mit ihm zu Ende gehen; der eine verspricht ihm schöne Waffen, Geld 
und Gut, der andere verhängt Mangel an Grundbesitz und schwere 
Wunden über ihn. Ich schaffe ihm, daß er den besten Männern werth 
erscheine, sagt Odin; dem Volke, fügt Thor hinzu, soll er verhaßt sein 7). 
Denn zwischen Höhe und Tiefe, Heil und Unsegen, Glück und 
Mißlingen schwankt nun einmal das Geschick des Menschen; der 
Tugend und dem Vollbringen ist ein Mangel beigegeben, deren Ver- 
hältniß in seinem Ursprung und seiner Wirkung die Summe des 
menschlichen Daseins bildet. Friedrich Wilhelm besaß einen Thron; 
1) Gautrekssaga, in Grimm's deutscher Mythologie 818. 
v. Ranke's Werke XXVII. AXXVIII. 16
	        
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