Friedrich Wilhelm I. 241
Wenn eine brandenburgisch-preußische Macht kampfgerüstet und
drohend am Niederrhein erschienen wäre, so würde der Anfall der
Bourbonen höchst wahrscheinlich ohne Erfolg geblieben sein; aber
Carl VI lebte nur immer in den allgemeinen politischen Combinationen,
die sein Verhalten jeder Zeit bestimmt hatten. Zu einer Verbindung mit
Preußen auf der Grundlage gleicher Berechtigung konnte er sich nicht
entschließen. Wenn es je einen deutschen Fürsten gab, dessen Sinnes-
weise die Eifersucht des kaiserlichen Hofes hätte zurückdrängen können,
so war das Friedrich Wilhelm 1, der jetzt nichts mehr gewünscht hätte,
als mit seiner ganzen Macht nicht allein als deutscher, sondern als
europäischer Fürst an der Seite des Kaisers zu erscheinen. Da sein
Erbieten nicht angenommen wurde und die Seemächte zu keiner Theil-
nahme zu bringen waren, so erfolgte, daß die Bourbonen die Ober-
hand behielten. Sie eroberten die beiden Sicilien. Das hinderte
aber nicht, daß die ihrer Natur nach feindselige französische Politik
wieder als der Stützpunkt der kaiserlichen Macht betrachtet wurde.
Es war ungefähr wie im Jahre 1678.
Friedrich Wilhelm sah sich zurückgestoßen und beleidigt wie einst
sein Großvater; er gerieth in die Nothwendigkeit, sich nun auch selbst
an Frankreich zu wenden, um seines Anspruches nicht ganz verlustig
zu gehen. In diesem Wechsel der politischen Verhältnisse lag das
Schicksal seines Lebens, um so mehr, da er sich mit einer Art von
Leidenschaft von England losgerissen und an Oesterreich angeschlossen
hatte, was seine Gewaltsamkeit reizte und ihn in alle jene Verhältnisse
verwickelte, die seinen Nachruf in der Welt verdunkelt haben; er ist der-
selben immer im Lichte eines eigenwilligen Tyrannen in Haus und Land
erschienen. Bei diesem Leben wird man, wie bei so manchem anderen,
an eine nordische Sage gemahnt, in welcher Odin und Thor das Schick-
sal eines aufwachsenden Helden bestimmen. Ich schaffe ihm, sagt der
erste, daß er drei Menschenalter lebe; sein Stamm, sagt der andere, soll
mit ihm zu Ende gehen; der eine verspricht ihm schöne Waffen, Geld
und Gut, der andere verhängt Mangel an Grundbesitz und schwere
Wunden über ihn. Ich schaffe ihm, daß er den besten Männern werth
erscheine, sagt Odin; dem Volke, fügt Thor hinzu, soll er verhaßt sein 7).
Denn zwischen Höhe und Tiefe, Heil und Unsegen, Glück und
Mißlingen schwankt nun einmal das Geschick des Menschen; der
Tugend und dem Vollbringen ist ein Mangel beigegeben, deren Ver-
hältniß in seinem Ursprung und seiner Wirkung die Summe des
menschlichen Daseins bildet. Friedrich Wilhelm besaß einen Thron;
1) Gautrekssaga, in Grimm's deutscher Mythologie 818.
v. Ranke's Werke XXVII. AXXVIII. 16