Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Einleitung. 251 
Es war in dem Gegensatze dieser Mächte, daß Friedrich Wil- 
helm I seine militärische Organisation gründete. Die Machtstellung, die 
der Gegenstand seines Ehrgeizes war, konnte er aber darum nicht 
erreichen. Mit England konnte er sich nie verständigen; Oesterreich 
vergalt die Dienste, die er ihm geleistet hatte, mit einem Undank, der 
seine Seele empörte. Nußland wurde durch die polnisch-türkischen 
Angelegenheiten in das engste Verhältniß mit Oesterreich gezogen. 
Friedrich Wilhelm hatte sich zuletzt mit Frankreich in eine Allianz 
eingelassen, die doch auch seinen Ansprüchen nicht genügte. Wenn 
nun in dieser Lage ein junger thatkräftiger Fürst zur Regierung kam, 
wohin konnten und mußten seine Bestrebungen sich richten? Es giebt 
ein inneres Leben der Staaten, ein Wachsthum derselben, welches in 
jedem Moment sich immer weiter entwickelt und die Thätigkeit der 
Fürsten zugleich herausfordert und bedingt. Hier war das Allernächste 
durch die Umstände Gebotene, in der Mitte der abgünstigen europäschen 
Mächte eine von ihrem Belieben unabhängige Stellung zu gewinnen. 
Alle waren durch Factionen zersetzt, in steter Gährung begriffen. Es 
war nothwendig, sich von denselben zu emancipiren, um die Ansprüche, 
die man besaß, von deren Gerechtigkeit man überzeugt war, ohne Rück- 
sicht und Schonung durchzuführen. Dazu war nun Alles vorbereitet. 
Ein Regierungswechsel konnte jetzt nicht wieder einen so durch- 
greisend umgestaltenden Einfluß hervorbringen, wie es einst bei dem 
Eintritt des großen Kurfürsten oder König Friedrich Wilhelm 1 ge- 
schehen war. Das Wort Preußen hatte nicht allein eine geographische 
Bedeutung: es bezeichnete ein Wesen von bestimmtem Gepräge und 
Charakter. Die einmal aufgerichtete Staatsorganisation, welche die 
Macht verlieh, konnte kein Nachfolger in Frage stellen oder mit will- 
kürlicher Hand daran tasten wollen. Nur gehörte ein sehr enerzischer 
Geist dazu, um die gewaltige Autorität, die ihm zuwuchs, zu hand- 
haben und weiter zu entwickeln, und Gaben des Genius wurden er- 
fordert, um jene unabhängige Stellung, nach welcher das gesammte 
Staatswesen emporstrebte, wirklich zu erreichen. 
Wir kennen dic geistige und moralische Kraft bereits, welche 
zunächst zu diesem Berufe bestimmt war. Gedenken wir noch der 
Studien und Beschäftigungen, mit denen Kronprinz Friedrich die 
freien Jahre ausfüllte, die ihm noch gewährt waren.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.