Einleitung. 251
Es war in dem Gegensatze dieser Mächte, daß Friedrich Wil-
helm I seine militärische Organisation gründete. Die Machtstellung, die
der Gegenstand seines Ehrgeizes war, konnte er aber darum nicht
erreichen. Mit England konnte er sich nie verständigen; Oesterreich
vergalt die Dienste, die er ihm geleistet hatte, mit einem Undank, der
seine Seele empörte. Nußland wurde durch die polnisch-türkischen
Angelegenheiten in das engste Verhältniß mit Oesterreich gezogen.
Friedrich Wilhelm hatte sich zuletzt mit Frankreich in eine Allianz
eingelassen, die doch auch seinen Ansprüchen nicht genügte. Wenn
nun in dieser Lage ein junger thatkräftiger Fürst zur Regierung kam,
wohin konnten und mußten seine Bestrebungen sich richten? Es giebt
ein inneres Leben der Staaten, ein Wachsthum derselben, welches in
jedem Moment sich immer weiter entwickelt und die Thätigkeit der
Fürsten zugleich herausfordert und bedingt. Hier war das Allernächste
durch die Umstände Gebotene, in der Mitte der abgünstigen europäschen
Mächte eine von ihrem Belieben unabhängige Stellung zu gewinnen.
Alle waren durch Factionen zersetzt, in steter Gährung begriffen. Es
war nothwendig, sich von denselben zu emancipiren, um die Ansprüche,
die man besaß, von deren Gerechtigkeit man überzeugt war, ohne Rück-
sicht und Schonung durchzuführen. Dazu war nun Alles vorbereitet.
Ein Regierungswechsel konnte jetzt nicht wieder einen so durch-
greisend umgestaltenden Einfluß hervorbringen, wie es einst bei dem
Eintritt des großen Kurfürsten oder König Friedrich Wilhelm 1 ge-
schehen war. Das Wort Preußen hatte nicht allein eine geographische
Bedeutung: es bezeichnete ein Wesen von bestimmtem Gepräge und
Charakter. Die einmal aufgerichtete Staatsorganisation, welche die
Macht verlieh, konnte kein Nachfolger in Frage stellen oder mit will-
kürlicher Hand daran tasten wollen. Nur gehörte ein sehr enerzischer
Geist dazu, um die gewaltige Autorität, die ihm zuwuchs, zu hand-
haben und weiter zu entwickeln, und Gaben des Genius wurden er-
fordert, um jene unabhängige Stellung, nach welcher das gesammte
Staatswesen emporstrebte, wirklich zu erreichen.
Wir kennen dic geistige und moralische Kraft bereits, welche
zunächst zu diesem Berufe bestimmt war. Gedenken wir noch der
Studien und Beschäftigungen, mit denen Kronprinz Friedrich die
freien Jahre ausfüllte, die ihm noch gewährt waren.