Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

258 Siebentes Buch. Erstes Capitel. 
in den Staaten und der bürgerlichen Verfassung in eine obne Zweifel 
allzu nahe Verbindung gebracht waren. Die christliche Religion strebt 
ewig die allgemeine zu sein: bei den gegenseitigen Ausschließungen 
konnte es sein Verbleiben nicht haben: ein künstliches Dogmenwesen 
wird sie ohnehin durch das ihr inwohnende Bedürfniß einfacher Welt- 
anschauung allezeit sprengen. Wer von Allen, die leben, wollte wieder 
zu jenen Zuständen zurückkehren? Bisher hatte man bei aller Zurück- 
setzung, die man erfuhr, die Hoffnung, den andern Theil doch noch 
zu überwältigen; jetzt erregte die an dem Buchstaben nicht immer um 
des Glaubens willen haftende Orthodoxie und der daran geknüpfte 
bürgerliche Vorzug nur noch Widerwillen und persönlichen Unmuth. 
Steigen wir zu der Höhe der Beobachtung empor, wo die Be- 
strebungen der Jahrhunderte sich vor den Augen ausbreiten, so nehmen 
wir von diesem weltgeschichtlichen Momente aus zwei große Di- 
rectionen wahr. 
In dem achtzehnten Jahrhundert hat man eine von dem Posi- 
tiven und eigentlich Christlichen abgewandte Richtung verfolgt, — 
bis die Irreligion einmal die Staatsgewalt erobert und eine große 
Nation in dem Tempel der Vernunft angebetet hat. 
Aber die Welt konnte nicht ertragen, von dem Göttlichen zu 
veröden. Das neunzehnte Jahrhundert kehrte zu den Lebensquellen 
um, an welchen die früheren Zeiten sich genährt hatten; es kam selbst 
auf das Confessionelle zurück, welches nun einmal die Form für die 
positive Religion geworden. Welch ein Mißverständniß jedoch, darum 
den alten Hader, aus dem man so eben hatte entkommen wollen, 
oder den Anspruch auf hierarchische Alleinherrschaft zu erneuern! Die 
aus der Lage der Dinge entspringende Forderung ist vielmehr, das 
Positive zu einem allgemein Gültigen zu entwickeln, worin sich alle 
Parteien vereinigen könnten, und indeß das einer jeden inwohnende 
Wahre eine an der andern anzuerkennen. 
In den Zeiten nun, in welche die Jugend Friedrichs fiel, kam 
jene Richtung nach der Naturseite hin empor, welche dem achtzehnten 
Jahrhundert seinen Charakter gegeben hat, und in seiner Erziehung 
lag Manches, was ihn zur Theilnahme an derselben vorzubereiten schien. 
In den frühesten Lebensjahren war er überfüllt worden mit Religions- 
übung in der Art und Weise eines auch hierin streng militärischen 
Gebotes. Der Tiefsinn und das geistig Befreiende der großen Leh- 
ren, an denen sich die Geschichte der Menschheit auferbaut hat, war 
ihm in einer Form dargeboten worden, die ihm den Inhalt ver- 
leidete. An Einer Streitfrage, wie erwähnt, nahm er ein lebendiges
	        
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