Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

264 Siebentes Buch. Erstes Capitel. 
Voltaire schloß sich der aufkommenden Idee des von allen geistlichen 
Einwirkungen freien, auf sich selbst beruhenden Staates an. Er 
wiederholte, der Sinn der Theologen sei immer auf Theilnahme an 
der Gewalt gerichtet, der Wunsch der Philosophen gehe allein dahin, 
unter den bestehenden Regierungen friedlich zu leben. Er hütete sich 
wohl, die dem bestehenden Staat widerstrebenden Consequenzen hervor- 
zukehren, die bei Locke nicht fehlen. 
Mit diesem Geiste nun setzte sich der Kronprinz von Preußen 
in Beziehung. Man sagt, der damalige französische Gesandte in 
Berlin, Marquis de la Chetardie, ein immer in Liebeshändel ver- 
strickter, nach leichtem Lebensgenuß begieriger Epikuräer, habe den 
Prinzen dazu veranlaßt. Für Friedrich, der selber französisch schrieb, 
und vielen Sinn für eine reine und leichte Form des Styls hat, lag 
der vornehmste Beweggrund wohl eben darin, daß er die schrift- 
stellerische Meisterschaft Voltaires bewunderte. Im August 1736 trat 
er mit demselben in Briefwechsel. 
Man wird uns die Wiederholung der Lobeserhebungen erlassen, 
mit denen sie einander gegenseitig überhäuften. Friedrich meinte es 
damit wenigstens sehr ehrlich; Voltaire hat später über die Dinge 
gespottet, die er damals dem Prinzen sagte. 
Ein Irrthum wäre es, anzunehmen, daß Voltaire den Prinzen 
nun sofort in seine Richtung herübergezogen habe. Im Gegentheil! 
es ist der Mühe werth, zu betrachten, wie sich ihr Verhältniß zunächst 
an der Verschiedenheit der Meinungen, die sie bekannten, ausbildete. 
Der Prinz erwähnte gleich in seinem ersten Briefe an Voltaire 
der Streitsache Wolfs mit den halleschen Theologen, und schickte ihm 
einige Actenstücke darüber zu; später ließ er die Uebersetzung der wolfschen 
Logik und Metaphysik folgen, erfüllt von dem unschuldigen Eifer, die 
Werke eines großen Philosophen einem der Abstraction fähigen Geiste, 
wie ihn Voltaire in der philosophischen Stelle der Henriade bewiesen 
habe, näher zu bringen ). 
Voltaire antwortete, er sehe hier eine goldene Kette, die Himmel 
und Erde verbinden solle, er bewundere sie, obgleich ihm gar manches 
Glied derselben gebrechlich vorkomme. Er nahm wahr, daß hier ein 
System vorliege, das dem Wesen nach der von ihm ergriffenen Sinnes- 
weise entgegenstand und zögerte nicht lange, einen Angriff darauf 
zu machen. 
1) December 1736. In Beuchot's Ausgabe der Werke Voltaires T. XIII, 
Nr. 521 (in der Akad. Ausgabe der Oeuvres de Frédéric XXI, S. 22).
	        
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