266 Siebentes Buch. Erstes Capitel.
lichen Vorsehung; die erhabenste, edelste, prächtigste Vorstellung, die
sich das Geschöpf von seinem Schöpfer machen könne. Möglich, daß
der Mensch kleiner erscheine, aber Gott um so größer. Man kann
sagen, daß damit in Friedrich wieder die Meinungen hervortraten,
über die ihn einst sein Vater hatte zurechtweisen wollen; die Frage
von Vorherbestimmung zur Seligkeit oder zur Verdammniß hat eine
nahe Verwandtschaft mit der Frage über Nothwendigkeit und Freiheit,
nur daß sich diese auf dem Gebiete philosophischer Reflexion bewegt.
Von der Abhängigkeit des menschlichen Wesens von dem unendlich
erhabenen Göttlichen könnte Niemand ein lebendigeres Gefühl in sich
tragen als damals Friedrich. Voltaire erstaunte. Er antwortet, es
komme ihm vor, als ob ein Leibnitz oder ein Wolf an ihn geschrieben
habe; er müsse nun wählen, ob diese, oder ob Locke und Clarke seine
Führer sein sollen. Sei aber, so fragt er, nicht der Mensch sich
einer freien Entschließung bewußt, und lasse sich wohl denken, daß
Gott ihn damit betrüge? Wenn Gott die Handlungen der Menschen
voraussehe, so erinnere Clarke daran, daß auch schon ein scharfsinniger
Mann vorauswissen könne, was Andere thun werden. Es läßt sich
aber denken, daß er mit so verbrauchten Argumenten bei Friedrich
nichts ausrichtete. Der Gott Clarke's, antwortete der Prinz, mache
ihn lachen; der möge mit elenden Zeitungsschreibern in einem Kaffee-
hause über die laufenden Conjuncturen politisiren: er werde jetzt
vielleicht Nachrichten aus Ungarn erwarten, um zu sehen, ob er sich
in seinen Vermuthungen nicht betrogen. Er seinerseits kenne nur
Einen Gott, der für die Gesammtheit der Welten sorge und zugleich
die Handlungen der Menschen regiere. Weil es einen Gott gebe, in
welchem der Grund von allem, so gebe es auch eine unbedingte Noth-
wendigkeit, welcher der Mensch unterworfen sei. Indem er sich aber
so bestimmt, beinahe fatalistisch ausdrückt, bemerkt er doch, daß sich
auch gegen sein System manches einwenden lasse, daß man Jahr-
hunderte darüber streiten könne; die Erschöpfung des Abstracten sei dem
Menschen nun einmal nicht gegeben: genug daß er wisse, wie er zu leben
habe; denn zu handeln sei er geboren, nicht zur Betrachtung 1).
1) Bei Beuchot LII, besonders die Briefe vom 16. Aug. Nr. 573, 280,
578, Akad. Ausg. XXI. S. 82, 26. Dec. 1737, Nr. 607, Akad. Ausg. S. 126;
19. April, 17. Juni 1738, bei Beuchot L.„ III, 633, 641, Akad. Ausg. S. 186,
207; doch wer sollte nicht die ganze Reihe lesen? Ich brauche kaum zu erinnern,
daß sich die Meinungen Friedrichs (z. B. über Freiheit, Nothwendigkeit) im
Laufe eines thatenvollen Lebens anders gestalteten. In dem Exramen du
sFsteme de la nature erscheinen sie denen seines Vaters ziemlich analog.