Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

266 Siebentes Buch. Erstes Capitel. 
lichen Vorsehung; die erhabenste, edelste, prächtigste Vorstellung, die 
sich das Geschöpf von seinem Schöpfer machen könne. Möglich, daß 
der Mensch kleiner erscheine, aber Gott um so größer. Man kann 
sagen, daß damit in Friedrich wieder die Meinungen hervortraten, 
über die ihn einst sein Vater hatte zurechtweisen wollen; die Frage 
von Vorherbestimmung zur Seligkeit oder zur Verdammniß hat eine 
nahe Verwandtschaft mit der Frage über Nothwendigkeit und Freiheit, 
nur daß sich diese auf dem Gebiete philosophischer Reflexion bewegt. 
Von der Abhängigkeit des menschlichen Wesens von dem unendlich 
erhabenen Göttlichen könnte Niemand ein lebendigeres Gefühl in sich 
tragen als damals Friedrich. Voltaire erstaunte. Er antwortet, es 
komme ihm vor, als ob ein Leibnitz oder ein Wolf an ihn geschrieben 
habe; er müsse nun wählen, ob diese, oder ob Locke und Clarke seine 
Führer sein sollen. Sei aber, so fragt er, nicht der Mensch sich 
einer freien Entschließung bewußt, und lasse sich wohl denken, daß 
Gott ihn damit betrüge? Wenn Gott die Handlungen der Menschen 
voraussehe, so erinnere Clarke daran, daß auch schon ein scharfsinniger 
Mann vorauswissen könne, was Andere thun werden. Es läßt sich 
aber denken, daß er mit so verbrauchten Argumenten bei Friedrich 
nichts ausrichtete. Der Gott Clarke's, antwortete der Prinz, mache 
ihn lachen; der möge mit elenden Zeitungsschreibern in einem Kaffee- 
hause über die laufenden Conjuncturen politisiren: er werde jetzt 
vielleicht Nachrichten aus Ungarn erwarten, um zu sehen, ob er sich 
in seinen Vermuthungen nicht betrogen. Er seinerseits kenne nur 
Einen Gott, der für die Gesammtheit der Welten sorge und zugleich 
die Handlungen der Menschen regiere. Weil es einen Gott gebe, in 
welchem der Grund von allem, so gebe es auch eine unbedingte Noth- 
wendigkeit, welcher der Mensch unterworfen sei. Indem er sich aber 
so bestimmt, beinahe fatalistisch ausdrückt, bemerkt er doch, daß sich 
auch gegen sein System manches einwenden lasse, daß man Jahr- 
hunderte darüber streiten könne; die Erschöpfung des Abstracten sei dem 
Menschen nun einmal nicht gegeben: genug daß er wisse, wie er zu leben 
habe; denn zu handeln sei er geboren, nicht zur Betrachtung 1). 
1) Bei Beuchot LII, besonders die Briefe vom 16. Aug. Nr. 573, 280, 
578, Akad. Ausg. XXI. S. 82, 26. Dec. 1737, Nr. 607, Akad. Ausg. S. 126; 
19. April, 17. Juni 1738, bei Beuchot L.„ III, 633, 641, Akad. Ausg. S. 186, 
207; doch wer sollte nicht die ganze Reihe lesen? Ich brauche kaum zu erinnern, 
daß sich die Meinungen Friedrichs (z. B. über Freiheit, Nothwendigkeit) im 
Laufe eines thatenvollen Lebens anders gestalteten. In dem Exramen du 
sFsteme de la nature erscheinen sie denen seines Vaters ziemlich analog.
	        
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