Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Spätere Jugendjahre Friedrichs Il. 267 
Ohne Zweifel war Friedrich in Tiefe der Ansicht und Wissen- 
schaftlichkeit seinem Correspondenten bei weitem überlegen; dabei machte 
es ihm doch den größten Eindruck, daß der bewunderte Freund eine 
andere Meinung festhielt. Friedrich glaubte vorzüglich alsdann sicher 
zu sein, daß er richtig denke, wenn er mit Voltaire übereinstimmte. 
Und so finden wir, daß seine Aeußerungen nicht selten auch wieder 
nach der andern Seite hinüberschlagen und dem Zusammenhange ent- 
schlüpfen, den man gefunden zu haben glaubt. „Denn wer die Schlla 
vermeiden will, geräth in den Strudel der Charybdis; die Metaphysik 
ist ein Meer, durch zahllose Schiffbrüche berüchtigt.“ Von den Philo- 
sophen des Alterthums billigt Friedrich am meisten die neuen Aka- 
demiker, weil sie sich am vorsichtigsten entschieden. 
Für uns ist es hinreichend, zu bemerken, daß Voltaire wenigstens 
damals mit Nichten die Oberhand behielt. Zwischen dem altberühmten 
Autor, der nun einmal seine Partei mit Entschiedenheit ergriffen und 
sie mit aller Kraft zu behaupten, zur Herrschaft zu erheben denkt, 
und dem Prinzen, der noch mit jugendlichem Forschungstriebe die 
Wahrheit sucht und seine natürliche Vorliebe zu den Lehren hat, die 
doch zuletzt in dem Spiritualismus der alten Zeiten und der deutschen 
Nation wurzeln, besteht noch immer ein gewaltiger Unterschied. 
Ein nicht viel geringerer zeigte sich auch in historisch-politischen 
Ansichten, bei Gelegenheit eines literarischen Versuches, den Friedrich 
selbst aufstellte. 
Von den Ereignissen seiner Zeit das erste, das er mit vollem 
Bewußtsein erlebte, war jene Wendung der europäischen Politik in 
den französisch-polnischen Irrungen, die mit den Friedenspräliminarien 
im October 1735 eintrat. Friedrich hatte, wie sein Vater, geglaubt, 
daß Frankreich wirklich zur Aufrechterhaltung der Wahl des Stanis- 
laus die Waffen ergriffen; er war ebenso erstaunt, daß es denselben 
fallen ließ und dagegen Lothringen an sich brachte; sein erstes Gefühl 
war, daß der Kaiser untadelhaft, der Cardinal Fleury dagegen ein 
politischer Tartuffe sei 1). Später, bei weiterer Entwickelung der Be- 
gebenheiten und mehr authentischer Kunde änderten sich seine Ansichten. 
Er urtheilte dann, daß der Verlust des Kaisers denselben Ursachen 
zuzuschreiben sei, aus welchen immer die großen Reiche gefallen, 
Schwäche der inneren Verfassung und Vernachlässigung der mili- 
tärischen Vertheidigungsmittel; den Vortheil von Frankreich leitete er 
1) Un tartusfe qui n'a ni foi ni loi, — la politique de la cour de 
France mM’est qu’'’un tissu de duplicité et de fourberic.
	        
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