Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Auswärtige Geschäfte in den ersten Monaten. 305 
Cardinal Fleury, der die schmeichelhaften Ausdrücke, die in dem 
Briefe des Königs vorkamen!), mit selbstgenügsamem Wohlgefallen 
aufnahm, und gegen die ersten Anträge von Camas nur schwache 
Einwendungen vorbrachte, die leicht zu beseitigen schienen, antwortete 
doch bald darauf in ablehnendem Tone. Er besaß eine einzige Ge- 
schicklichkeit, die Fäden der Politik in seiner Weise fortzuspinnen: auf 
neue Umstände, welche dieselbe durchkreuzten, Rücksicht zu nehmen, 
war nicht so sehr seine Sache. Jetzt gab er ein gewisses Erstaunen 
darüber zu erkennen, daß der junge König über einen Vertrag, der 
seinen Vater zufrieden gestellt hatte, sich mit so wenig Genugthuung 
äußere. Die Ministerialbeamten, die in dem gewöhnlichen Laufe der 
Angelegenheiten überall eine große Stimme führen, waren entschieden 
gegen die preußischen Anträge. Sie wollten nicht Wort haben, daß 
die Umstände verändert seien, denn nur aus Rücksicht auf die Zukunft 
und den jetzigen König habe Frankreich dem verstorbenen jene Zu- 
geständnisse gemacht, und dadurch die alten Verbündeten, die Häuser 
Pfalz und Baiern nicht wenig verletzt: wenn es einen Schritt weiter 
gehe, werde es das Zutrauen der katholischen Fürsten vollends 
verlieren. 
Noch einen anderen Grund aber als diese Rücksicht alter Freund- 
schaft glaubten Camas und der ordentliche Gesandte, Chambrier, für 
die Weigerungen der Franzosen wahrzunehmen: und einen solchen 
zwar, der sich nicht beseitigen ließ. Es schien ihnen, als erblicke die 
französische Politik einen großen Vortheil darin, Düsseldorf und das 
Rheinufer in künftigen Kriegsfällen zum Uebergang über den Rhein 
benutzen zu können, wozu es in den Händen einer schwächeren Macht, 
aber nimmermehr einer stärkeren dienen könne 2). - 
Die Unterhandlungen wurden darum nicht sogleich abgebrochen. 
Der Cardinal stellte in Aussicht, daß er vielleicht künftig einmal 
etwas mehr bewilligen könne; mit allem seinem Blute werde er trachten 
dem König von Preußen Genugthuung zu geben; aber zugleich wieder- 
holte er auch, er dürfe einen Fürsten nicht verletzen, der sein ganzes 
Vertrauen auf Frankreich setze und dessen Garantie für sich habe. 
Camas meinte, er werde nie etwas thun und denke nur Preußen 
durch unbestimmte Versprechungen festzuhalten. 
1) Camas: II pésoit les mots ct répétoit à voix bassc les expres- 
sions, dui le touchoient le plus. 
) Duns le vue de conserver pour la France sous le nom de 1’Elec- 
teur palatin ce passage sur le bas Rhin par on il peut aller (le roi) 
on il voudra sans s'embarrasser de Wesel (Camas 26. Juli). 
v. NRanke's Were XXNVII. XXNVII/ 20)
	        
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