Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Besitzergreifung von Schlesien. 347 
Wenn nun aber überall so mächtig, so wirkte seine Ankunft 
doch am durchgreifendsten in der Hauptstadt ein, wo die Bürgerschaft 
zwar ihre alte religiöse Freiheit behauptete, aber durch den Anblick 
der Thätigkeit und des Fortschreitens der Gegner derselben in unauf- 
hörlicher Besorgniß und Aufregung gehalten ward. 
Bei der ersten Nachricht von dem Einmarsch der Preußen schwiegen 
die zelotischen Controversprediger, von plötzlichem Schrecken getroffen, 
oder machten sich zur Flucht fertig; die Gefangenen wurden losgelassen. 
Dagegen nahm man in den evangelischen Kirchen einen Psalm zum 
Text, nach welchem Gott, der sein Volk verstoßen, und „ihm ein 
Hartes erzeigt hat“, ihm wieder ein Panier aufsteckt, um es zu 
retten 1). 
Nun hatte aber die Stimmung von Breslau eine nicht geringe 
politische und sogar eine unmittelbar militärische Bedeutung. 
Es war allerdings nicht mehr jenes Breslau, dessen Geschichten 
Cschenloer beschrieben hat, als es eine Rolle unter den Mächten des 
östlichen Europa spielte, doch besaß es noch manche Attribute muni- 
cipaler Selbständigkeit, unter andern das Recht, sich selbst zu be- 
wachen und zu vertheidigen. Innerhalb der Stadt duldete man nur 
Soldaten, welche der Stadt geschworen. Wollten königliche Truppen 
ihren Durchzug durch die Stadt nehmen, so verstärkte man die Wachen, 
sperrte die Straßen mit Ketten; nur in kleinen Abtheilungen, unter 
dem Geleite der städtischen Mannschaften zogen sie herein und hinaus. 
Es leuchtet ein, daß bei dem plötzlichen Herandringen eines 
mächtigen Feindes einer der vornehmsten Gesichtspunkte der öster- 
reichischen Regierung dahin gehen mußte, der Hauptstadt des Landes 
mächtig zu bleiben und dieser Beschränkung sich zu entledigen. 
Das Oberamt forderte den Rath auf, dem Obersten, der den 
Dom von Breslau, einen in bürgerlicher und militärischer Hinsicht 
von der Stadt getrennten Bezirk, zu schützen bekomme, und der ein 
Evangelischer sein werde, zuvörderst nur die gemeinschaftliche Besetzung 
des nächsten Thores zu bewilligen; erst alsdann, wenn er von einer 
überlegenen Macht angegriffen sich daselbst nicht mehr behaupten könne, 
sollte er das Recht haben, mit seinen Truppen in die Stadt auf- 
genommen zu werden. 
Bei allem Anschein und aller Neigung zu Widerstand und Eigen- 
1) Psalm 60, 3—7 war der Text der Amtspredigt des Inspector Burg 
am Bußtag, 9. December; schon hatte man dort ein Verzeichniß der zum 
Einmarsch in Schlesien bestimmten preutischen Völker.
	        
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