Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

360 Achtes Buch. Erstes Capitel. 
aber sieht man, daß dem doch nicht so war; seine wohlerwogene 
Absicht ging alles Ernstes dahin, indem er sein Recht gegen Oester- 
reich geltend machte, diesem Hause doch wieder in den Bedräng- 
nissen, die ihm wegen des Widerspruches gegen die pragmatische 
Sanction nothwendig bevorstanden, zur Seite zu stehen. Friedrich 
meinte, das österreichische Erbfolgerecht nicht zu verletzen, indem er 
in Schlesien eindrang: denn er denke nicht daran, zu erben; er nehme 
Provinzen in Besitz, die von Rechtswegen ihm gehören. Die früher 
von seinem Großvater ausgesprochenen Verzichtleistungen seien durch 
die Zurücknahme der dagegen gemachten Abtretung von Schwiebus 
null und nichtig. Auch die von seinem Vater geschlossene Allianz 
binde ihn nicht, weil die dagegen zugesagten Leistungen des verstor- 
benen Kaisers niemals bewerkstelligt, sondern eher in das Gegentheil 
umgeschlagen seien. Kaiser Carl VI habe in der That kein Recht auf 
die Provinzen gehabt, die das Haus Brandenburg zurückfordere. Die 
Tochter des Kaisers habe ebenso wenig Recht auf dieselben; ihm da- 
gegen komme ein unzweifelhaftes Eigenthumsrecht zu. Friedrich glaubte 
nicht allein befugt, sondern in Rücksicht auf sein Haus sogar ver- 
pflichtet zu sein, die Landschaften in Besitz zu nehmen, da er die 
Macht dazu habe. Man hatte seinem Vater vorgeworfen, daß er 
die Macht, die er besitze, nicht zu gebrauchen wisse. Er wollte diesen 
Vorwurf nicht auf sich kommen lassen. Ueberzeugt davon, daß er 
durch bloße Unterhandlungen nie etwas ausrichten würde, hielt er für 
geboten, das, wovon er überzeugt war, daß es ihm gehöre, unverzüg- 
lich und eigenmächtig in Besitz zu nehmen. Nicht erst unterhandeln, 
sondern sich in Besitz setzen, das war der Grundsatz, der sich eben in 
der Angelegenheit von Herstall bewährt hatte. Welch ein unermeß- 
licher Unterschied jedoch! Was einem Bischof von Lüttich gegenüber 
möglich gewesen war, sollte sich das auch das mächtige Kaiserhaus 
Oesterreich gefallen lassen? Friedrich würde das nicht erwartet haben, 
wäre nicht eine europäische Erschütterung bereits im Gange gewesen, 
welche ein gemeinschaftliches Interesse von Oesterreich, Preußen und 
England herbeiführte. Seine Meinung war, der Wiener Hof, von 
allen Seiten bedrängt — denn von keiner dürfe er eine Anerkennung 
der pragmatischen Sanction erwarten — werde sich entschließen müssen, 
den preußischen Ansprüchen gerecht zu werden. Und sollte es dem- 
selben nicht wünschenswerth erscheinen, eine Macht für sich zu gewinnen, 
welche über eines der schönsten Heere der Welt gebot, das seinen Ruf 
in Kämpfen, die ihm mit dem kaiserlichen gemeinschaftlich waren, 
errungen hatte. Durch diese Bundesgenossenschaft würde sich Alles
	        
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