Inneres und äußeres Verhältmiß des Wiener Hofes. 375
In Berlin hatte man sich nicht verhehlt, daß ein bewaffnetes
Eindringen natürlichen Widerstand erwecken würde, aber darauf ge-
rechnet, daß dies Gefühl durch die viel größere Gefahr, die von einer
andern Seite her drohe, gemäßigt und eine Unterhandlung auf der
vorgeschlagenen Grundlage eingeleitet werden könne. Die am Hofe
zu Wien vorherrschende Meinung wollte aber eine solche Gefahr nicht
erkennen, leugnete ihre Existenz ab; man sah in dem preußischen
Unternehmen einen einseitigen Angriff, den man um jeden Preis
zurücktreiben müsse, und auch ohne viele Schwierigkeit zurückzutreiben
im Stande sei. Der Großherzog sprach sich dahin aus: die Kö-
nigin dürfe von ihren Erblanden Niemandem auch nur einen Zoll
breit abtreten, wenn sie nicht die vermeinten Ansprüche vieler An-
deren rege machen wolle; eher würde sie sich mit allen Anderen ver-
tragen, eher würde sie die Türken vor Wien kommen lassen, ehe sie
auf Schlesien Verzicht leiste. Was ihn betreffe, so solle man nicht
sagen, daß er einen Augenblick daran gedacht habe, zur Kaiserkrone
zu gelangen, gegen den Verlust einer Provinz; er müßte der letzte
aller Menschen sein, wenn es ihm beikäme; lieber wolle er sich unter
den Ruinen der Welt begraben lassen.
Nur einmal trat der Großherzog einen Schritt näher. Als ihm
Gotter am Neujahrstage 1741 sagte, sein König bestehe nicht auf
das gesammte Schlesien, warf er die Frage auf, was man demselben
anbieten solle: Schwiebus werde ihm zu wenig, #dagegen die Hälfte
von Schlesien für Oesterreich bei weitem zu viel sein; es sei unendlich
schwer, eine Abkunft zu treffen, doch wolle er nicht die gänzliche Un-
möglichkeit davon behaupten. Mehr konnte er nicht sagen; eben
klopfte seine Gemahlin an die halbgeöffnete Thür, und er zog sich un-
verweilt in die Gemächer derselben zurück.
Noch immer war im Grunde die Frage offen, ob man über-
haupt in Unterhandlungen eintreten wolle oder nicht.
Es ist gewiß, daß der Großherzog nicht dagegen und Sinzen-
dorf sehr dafür war; er hat den englischen Gesandten einst gefragt,
was er dazu sage; dieser antwortete: seinem Könige könne es nicht
anders als erwünscht sein.
Aus den Aufzeichnungen Maria Theresia's entnehmen wir, daß
der oberste Kanzler von Böhmen, Kinsky und der Graf Harrach, der
déj prévenu et à garde contre moi, les esprits agitées et animés de
vengeance.